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Nach all diesen Jahren

Nach all diesen Jahren

Titel: Nach all diesen Jahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathy Williams
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zurück zu meinen Eltern zu ziehen? Natürlich, sie haben mir geholfen. Ohne sie hätte ich nicht weiter gewusst. Trotzdem fühlte es sich wie ein Rückschritt an. Ich habe daran gedacht, Oliver nicht zu bekommen und war überglücklich, als ich ihn endlich in den Armen hielt. Aber trotzdem kam es mir vor, als hätte ich mein eigenes Leben aufgegeben. Aus der Traum vom Studium, vom Diplom … vom qualifizierten Beruf. Wahrscheinlich hast du es wahnsinnig komisch gefunden, als du bemerkt hast, wer da euren Fußboden wischt.“
    „Das ist doch Unsinn.“
    „Dann wüsste ich wirklich zu gern, was dir durch den Kopf gegangen ist, als du mich da auf den Knien gesehen hast. Mit meinem Kittel und dem Putzlumpen in der Hand.“
    „Okay, ich gebe zu, zuerst war ich natürlich völlig schockiert. Aber dann dachte ich daran, wie verdammt erotisch du warst … immer noch bist – trotz Arbeitskittel und Kopftuch.“
    Schlagartig änderte sich die Atmosphäre. Ein Funken hätte genügt, und die alte Leidenschaft wäre wieder aufgeflammt. Sarah ertappte sich bei dem Wunsch, dass Raoul seine Worte wiederholen möge, damit sie sich sie einprägen und wieder und wieder in ihrem Kopf abspulen konnte.
    Wie kann ich nur so schnell vergessen, wie er mich behandelt hat? fragte sie sich entsetzt. Auch wenn er es jetzt so darstellt, als hätte er mir mit der Trennung einen Gefallen getan. Am Ende war ich ihm einfach egal – ein unbedeutendes Urlaubsabenteuer, von dem er sich seine Pläne gewiss nicht durchkreuzen lassen würde.
    „Ich finde, Sex wird viel zu sehr überschätzt.“ Sie bemühte sich, sarkastisch zu klingen. Als er sie jedoch auf seine unnachahmlich charmante Art anlächelte, stieg ihr das Blut in die Wangen.
    „Findest du?“
    „Ich möchte jetzt wirklich nicht weiter darüber reden!“ Ihre Stimme zitterte leider verräterisch, und sie hätte am liebsten vor Wut geschrien. „Im Moment müssen wir ganz andere Dinge besprechen. Ich würde dir jetzt gern Olivers Zimmer zeigen. Kommst du?“
    Raoul beschloss, das Thema fallen zu lassen. Er war von seinem plötzlichen Eingeständnis ebenso überrascht wie Sarah. Was ist nur in mich gefahren? fragte er sich. Er verstand absolut nicht, wie ihn eine Frau, die er jahrelang nicht gesehen hatte, immer noch derart fesseln konnte. Als hätten sie sich gestern das letzte Mal gesehen. Aber so ist es nicht! rief er sich zur Ordnung, und der Beweis liegt oben in einem Kinderzimmer.
    Im ersten Stock war es noch enger als im Erdgeschoss. Soweit er vom Treppenabsatz aus sehen konnte, gab es lediglich zwei winzige Zimmerchen und ein kleines Bad.
    Sarah öffnete vorsichtig eine Tür. Der Raum war im ganzen Haus der einzige, der frisch renoviert worden war. Im schwachen Schein eines Nachtlichts konnte Raoul das Tapetenmuster – irgendwelche Märchenfiguren – und die Silhouette der Möbel erkennen: Bett, eine weiße Kommode, karierte Gardinen und ein runder Teppich. Eine zusammengewürfelte Einrichtung: funktional und billig.
    Unwillkürlich hielt er den Atem an und ging auf Zehenspitzen auf das Kinderbett zu.
    Oliver hatte im Schlaf seine Decke weggestrampelt. Zusammengerollt lag er auf der Seite und hielt ein Kuscheltier im Arm.
    Man konnte gerade noch seine schwarzen Locken und die runden Kinderarme erkennen. Selbst bei der diffusen Beleuchtung stellte Raoul fest, dass Olivers Teint viel dunkler war als der seiner Mutter – genaugenommen entsprach er exakt seinem eigenen.
    Einem unbezwingbaren Impuls folgend trat er noch näher. Er beugte sich zu dem Kind hinunter. Als es sich im Schlaf bewegte, sprang er fast zurück.
    „Wir sollten wieder gehen, damit wir ihn nicht aufwecken“, flüsterte Sarah und verließ leise das Zimmer.
    Raoul folgte ihr. Seine Hände waren plötzlich schweißnass. Sie hat recht, dachte er, es ist mein Sohn. Die Ähnlichkeit ist einfach zu groß. Wie konnte ich nur annehmen, dass ich alles von meinem Schreibtisch aus regeln könnte. Ich habe ein Kind! Ein echtes, richtiges Kind aus Fleisch und Blut!
    Auf einmal erschienen ihm die beengten Wohnverhältnisse, unter denen die beiden lebten, unerträglich. Ich muss sofort etwas unternehmen, beschloss er. Und das betraf nicht nur die Wohnung. Sein gesamtes Leben würde auf den Kopf gestellt werden. Vor Kurzem noch hatte er sich in dem Glauben gewähnt, die absolute Kontrolle über sein Leben zu haben, und plötzlich stürzte von einer Sekunde auf die andere alles zusammen wie ein Kartenhaus.
    Für jemanden,

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