Nach all diesen Jahren
Vaterschaftstests … bekommen würde“, stammelte sie.
„Das ist vorläufig auf Eis gelegt.“
„Heißt das, du glaubst mir?“ Erleichterung erhellte ihre Züge. „Du wirst es nicht bereuen. Oliver ist dir wie aus dem Gesicht geschnitten. Er schläft leider schon. Obwohl, ich könnte ihn wecken …“
Im Umgang mit Kindern war Raoul komplett unerfahren. In seinem Leben kamen sie nicht vor, und da er keine Geschwister hatte, gab es auch keine Nichten und Neffen. Die Vorstellung, so plötzlich mit einem Sohn konfrontiert zu werden, erfüllte ihn geradezu mit Entsetzen. Wofür interessiert sich ein Vierjähriger überhaupt? fragte er sich. Kann man sich mit ihm überhaupt schon unterhalten?
Plötzlich überfiel ihn eine unglaubliche Panik. Er räusperte sich nervös. „Vielleicht sollten wir erst einmal in Ruhe darüber reden.“
„Möchtest du etwas trinken? Tee? Kaffee? Im Kühlschrank ist noch eine halbe Flasche Wein, glaube ich zumindest. Tut mir leid, mehr kann ich dir leider nicht anbieten.“
Raoul sah sich um. Erst jetzt kam ihm richtig zu Bewusstsein, wie sehr ihre Welten sich unterschieden. Er wohnte in einem zweistöckigen Penthouse in Londons bester Wohngegend. Die Einrichtung bestand aus dem Teuersten, das der Designermarkt hergab. Die Küche konnte sich mit der eines Viersternekochs messen und war das Beste, was man für Geld kaufen konnte. Aber letztlich interessierte ihn das nicht, er war sowieso selten zu Hause und benutzte seine Hightechküche so gut wie nie.
Der Unterschied zu diesem winzigen Reihenhäuschen hätte nicht größer sein können. Der Teppich, von einem undefinierbaren Graubraun, war wohl seit Jahrzehnten nicht ersetzt worden. Die Wände, obwohl in einem freundlichen Farbton gestrichen, hatten Risse. Der Flur, in dem sie immer noch standen, war unerträglich eng, und als sie schließlich in die Küche gingen, wurde es nicht viel besser. Sie bot gerade mal Platz für einen Tisch, eine Anrichte und ein paar Gewürzregale.
Ihm war es gelungen, sich aus derart beengten Verhältnissen zu befreien, aber die Vorstellung, wie leicht er in einer derartigen Umgebung hätte enden können, erfüllte ihn auch nachträglich noch mit Schaudern.
Genau aus diesem Grund wollte ich keine Familie, rief er sich ins Gedächtnis. Nur wenn man sich mit hundertprozentigem Einsatz der Arbeit widmete, konnte man Karriere machen.
Je reicher und erfolgreicher er wurde, desto weniger interessierten ihn Frauen. Es hätte nur eines Fingerschnippens bedurft, und die schönsten Frauen würden ihm zu Füßen liegen. Zu seinen Ex-Geliebten gehörten einige Star-Models, aber auch sie kamen in seinem Leben immer erst an zweiter Stelle.
Zu gut erinnerte er sich an das enge, vor Schmutz starrende Zimmer, in dem er mit seiner Mutter gehaust hatte, die sich allmählich zu Tode trank. Dieser Art Leben zu entkommen, war die treibende Kraft dafür gewesen, so hart zu studieren und zu arbeiten. Das Haus hier war kaum besser. Raoul kannte den Typ Vermieter: raffgierig – und zu geizig, um Geld in Renovierungsarbeiten zu stecken.
Die Vorstellung, dass sein Sohn in einer derartigen Umgebung leben musste, tat ihm weh.
„Ich weiß, es ist nicht gerade das Ritz. Aber immer noch besser als so manche andere Wohnung dieser Preisklasse“, entschuldigte sich Sarah. Das Haus lag auch nicht in der nobelsten Wohngegend, aber die Miete war günstig, es gab eine gute Busanbindung, und die Nachbarn waren nett. Man konnte eben nicht alles haben. „Wo wohnst du eigentlich?“
Raoul, der gerade eine Ecke begutachtete, wo sich die Tapete ablöste, blickte Sarah an … und konnte seinen Blick nicht mehr von ihren Augen lösen. Er verstand selbst nicht, warum sie eine derartige Wirkung auf ihn hatte. War es die Erinnerung an damals, oder hatte er im Laufe der Jahre nur verdrängt, wie sehr er sie begehrte.
„In Chelsea“, antwortete er knapp und setzte sich vorsichtig auf einen der Küchenstühle. Sie wirkten, als würden sie allein vom Ansehen zusammenbrechen.
„Und? Wie ist es da?“, fragte sie betont beiläufig, während sie Kaffee kochte. Sie war froh, mit dem Rücken zu ihm zu stehen, denn sie fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. Plötzlich kam ihr die Küche unerträglich heiß und eng vor. Als der Kaffee fertig war, goss sie ihm eine Tasse ein und setzte sich zu ihm an den Tisch.
„Es ist okay.“ Raoul zuckte achtlos mit den Schultern. „Ich bin nicht so oft zu Hause.“
„Okay? Was meinst du
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