Nach all diesen Jahren
Abrupt brach sie ab. Zumindest sollte das im Idealfall so sein, dachte sie. „Also, ich hole Oliver. Du kannst inzwischen die Zwiebeln schneiden. Sie liegen in der Schüssel neben dem Kühlschrank.“
„Ich soll kochen?“
„Zumindest helfen. Und behaupte nicht, du könntest das nicht. In Afrika hast du auch gekocht.“
„Andere Länder, andere Sitten.“
„Das heißt, du isst ausschließlich in Restaurants?“
„Im Rahmen meines Zeitmanagements ist das nur zu empfehlen.“
„Und deine Freundinnen? Willst du denn nicht manchmal einen Abend zu Hause verbringen und etwas … ganz Normales machen?“
Der Satz kam über ihre Lippen, bevor sie ihn zurückhalten konnte. Diese Frage hatte sie schon die ganze Zeit beschäftigt. Ehrlich gesagt hatte sie sich in den letzten Jahren immer wieder gefragt, ob Raoul wohl jemanden gefunden hatte, der ihn längerfristig fesseln konnte.
„Entschuldige … das geht mich ja gar nichts an“, versuchte sie darüber hinwegzugehen.
„Jetzt schon. Hast du nicht selbst gesagt: Keine Frauen, wenn Oliver da ist. Du kannst ganz beruhigt sein: Die einzige Frau in meinem Leben bist im Moment du .“
„Darum geht es doch gar nicht Raoul, und das weißt du auch.“
„Stimmt. Du bist einfach nur neugierig. Aber das ist okay. Ist schließlich menschlich.“
„Gar nicht wahr!“, protestierte Sarah heftig, obwohl es sie natürlich brennend interessierte, mit welchen Frauen er ausging und was er für sie empfand. Gefielen sie ihm besser als sie damals? Diese Frage beschäftigte sie besonders stark.
„Ich kann dich beruhigen. Es gab zwar Frauen, aber es ist mir gelungen, jede Situation zu meiden, in denen Töpfe, Schürzen, Geschirr und Kerzenlicht eine Rolle gespielt hätten.“
„Also wirklich, Raoul! Du bist ein solcher Charmeur!“ Insgeheim verspürte sie ein vages Gefühl der Erleichterung, das sie aber sofort verdrängte. „Jetzt hole aber wirklich Oliver.“
„Nicht so schnell! Erst noch zu dir! Angeblich gibt es keinen Mann, aber sicherlich doch den einen oder anderen Interessenten. Oder kochst du Nudeln mit Tomatensoße ausschließlich für Oliver?“
Er bemühte sich, die Frage scherzhaft klingen zu lassen, sah aber der Antwort ziemlich nervös entgegen. Warum verursacht mir der Gedanke, dass sie mit einem anderen Mann zusammen sein könnte, derartiges Unbehagen? fragte er sich. Schließlich wäre er der Letzte, der ihr einen Ring an den Finger stecken würde. Auch wenn er jetzt urplötzlich Vater geworden war, hieß das noch lange nicht, dass er auch nur einen Zentimeter von seinem gewohnten Leben abweichen würde.
„Vielleicht …“
„Vielleicht? Was soll denn das heißen?“ Sein Lächeln wirkte ziemlich gezwungen. „Habe ich womöglich einen Konkurrenten, der sich gerade im Schrank versteckt?“
„Natürlich nicht“, erwiderte Sarah unwillig. „Als alleinstehende Mutter muss ich mein Leben nicht noch zusätzlich durch einen Lover verkomplizieren.“ Sie hatte ganz deutlich den Eindruck, dass er heimlich aufatmete, deshalb fuhr sie provozierend fort: „Das heißt aber nicht, dass es so bleibt. Wie du so richtig angemerkt hast, wird in Zukunft vieles leichter sein. Ich muss mich nicht mehr allein um Oliver kümmern. Geldsorgen werde ich auch keine mehr haben … dadurch bleibt viel Zeit, auch mal auszugehen.“
„Wenn du meinst, du hättest ab jetzt einen Freibrief, zu tun, was du willst, dann hast du dich aber getäuscht.“ Die Richtung, die das Gespräch nahm, gefiel Raoul überhaupt nicht.
„Also wirklich! Wofür hältst du mich? Das klingt ja, als ob ich es gar nicht erwarten könnte, einen Kerl abzuschleppen.“ Raoul Sinclair hatte kein Recht, ihr irgendwelche Verhaltensregeln vorzuschreiben. Er war schließlich derjenige, der keinerlei Verantwortung in seinem Leben wollte. Er nahm sich, was er wollte, und ließ einen fallen, wenn sein Interesse erloschen war. Gut, nun hatte er feststellen müssen, dass das nicht immer möglich war. Immerhin ein kleiner Trost. Er konnte aber nicht von sich auf andere schließen. Es wäre durchaus möglich, dass sie sich einen Partner wünschte. Für Raoul mochte eine Beziehung die Einschränkung seiner Freiheit bedeuten, sie hingegen fand das Leben als Single nicht besonders erstrebenswert.
„Ganz sicher werde ich nicht von heute auf morgen die Nächte in der Disco durchtanzen. Aber ich werde doch hin und wieder weggehen können, und das ist eine nette Abwechslung.“
„Hin und wieder
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