Nach all diesen Jahren
deuten und sah mit Bangen dem Gespräch entgegen. Wie zum Schutz drückte sie den schlafenden Oliver fester an sich.
Es muss sich wirklich einiges ändern, dachte Raoul, jedoch weniger in Bezug auf Besuchszeiten und dergleichen. Sarah wollte Formalitäten regeln, und natürlich gab es da auch einiges zu besprechen, aber eigentlich ging es ihm um etwas ganz anderes.
Er war inzwischen nämlich zu einer Erkenntnis gelangt! Unablässig hatte er darüber nachgedacht, warum Sarah ihm nicht aus dem Kopf gehen wollte. Jetzt wusste er es endlich: Es gab da noch einen Rest … etwas Unabgeschlossenes zwischen ihnen! Ein paar lose Enden. Diese offenen Fragen wollte er endlich abhaken und dann – hoffentlich – seinen inneren Frieden wiederfinden.
Er lächelte Sarah an, dass es sie heiß und kalt überlief. Sie spürte seinen Blick wie eine Liebkosung auf ihrer Haut.
„Ich gieße dir auch schon mal ein Glas Wein ein“, verkündete er und sah ihr tief in die Augen. „Und dann können wir – wie du so schön sagst – über unsere Zukunft reden.“
5. KAPITEL
Sarah brauchte länger für das Gutenachtritual, als sie gedacht hatte. Erstens bestand Oliver plötzlich darauf, mit seinen neuen Autos zu spielen. Und dann sollte Raoul noch ans Bett kommen. In dieser Reihenfolge.
Um ihn von seinem zweiten Wunsch abzubringen, sah sie sich gezwungen, sich auf ein intensives Autorennen inklusive Boxenstopp und Auftanken einzulassen.
Endlich – vierzig Minuten später – war er eingeschlafen und Sarah ging ins Bad.
Sie brauchte Zeit, um sich auf das anstehende Gespräch vorzubereiten.
Eins nach dem anderen, sagte sie sich. Erst einmal werde ich ganz sachlich das Thema ansprechen: Wie bringen wir Oliver bei, dass du sein Vater bist?
Zweitens wollte sie ihm sagen, dass sie jetzt ihren Eltern von ihm erzählen würde. Er musste sie aber nicht treffen.
Und drittens wollte sie eins klarstellen: Sie hatten keine Beziehung! Auch wenn sie natürlich Olivers wegen freundschaftlichen Umgang miteinander pflegen würden. Als Zeichen, dass sie erwachsene Menschen waren, die auch ohne Anwälte die Besuchsrechte regeln konnten.
Außerdem würde sie betonen, wie hilfreich es gewesen war – Oliver zuliebe –, so viel Zeit miteinander verbracht zu haben.
Als sie herunterkam, saß Raoul im Wohnzimmer auf dem Sofa und trank ein Glas Wein. Seit seinem ersten Besuch sorgte er dafür, dass ihr Kühlschrank immer mit den erlesensten Weinen gefüllt war. Außerdem hatte er ihre Senfgläser durch kristallene Weingläser ersetzt. Nie im Leben hätte Sarah so etwas gekauft. Sie hätte viel zu viel Angst gehabt, eines zu zerbrechen.
Er klopfte einladend auf den Platz neben sich. Das behagte ihr zwar ganz und gar nicht, aber wenn sie sich nicht in einem Sessel verkriechen wollte – was wahrscheinlich keinen sehr souveränen Eindruck machen würde –, blieb ihr nichts anderes übrig, als sich neben ihn zu setzen. Betont entspannt griff sie nach dem Glas Wein, das er bereits für sie eingeschenkt hatte.
„Ich würde sagen, das war doch mal ein gelungener Tag.“ Raoul schlug die Beine übereinander. Er nahm einen Schluck von seinem Wein. „Trotz deines Ausbruchs wegen meines Apartments.“
„Tut mir leid.“ Sie blickte angelegentlich auf ihr Glas.
Raoul löste seinen Blick nicht von ihrem Gesicht. „Nicht nötig.“
„Na ja. Es war schon ziemlich unhöflich“, gestand Sarah kleinlaut. „Ich nehme nicht an, dass du oft kritisiert wirst …“
„Ich war mir gar nicht bewusst, dass du mich kritisiert hast. Ich dachte, dir gefällt einfach die Einrichtung meines Apartments nicht.“
„Natürlich. Das habe ich gemeint.“
„Ansonsten, glaube ich, musst du zugeben, dass ich all deine Ratschläge befolgt und alles getan habe, um eine Beziehung zu Oliver aufzubauen.“
„Du warst fantastisch“, gab Sarah zu. „Hat es dir auch Spaß gemacht? Ich meine, letztlich wurde dein Leben ja völlig auf den Kopf gestellt … du hast unmissverständlich klar gemacht, dass Frau und Kinder keinen Platz in deinem Leben haben.“
„Irgendwie habe ich das Gefühl, dass diese Bemerkung nicht unbedingt positiv ist.“
„So habe ich das nicht gemeint.“
„Dann ist es ja gut.“ Raoul beschloss, es dabei zu belassen. Er warf ihr ein strahlendes Lächeln zu. „Um auf deine ursprüngliche Frage zurückzukommen: Die Begegnung mit Oliver war wirklich eine Offenbarung. Bisher musste ich mich nie auf die Bedürfnisse eines anderen Menschen
Weitere Kostenlose Bücher