Nach all diesen Jahren
Hast du dich eigentlich einmal in deinem Apartment umgesehen?“ Sie hatte es einmal gesehen, als sie mit Oliver da gewesen waren.
„Was soll das denn heißen?“
„Du hast das Teuerste vom Teuersten … und trotzdem bekommt man nicht das Gefühl, dass in deinem Apartment jemand lebt. Es wirkt wie der Ausstellungsraum in einem Möbelladen oder wie eine dieser Wohnungen aus Hochglanzmagazinen. In der Küche hat bestimmt noch nie jemand gekocht! Und diese ganzen abstrakten Gemälde! Ich wette, du hast kein einziges selbst ausgesucht!“
Warum reagiert er denn überhaupt nicht, dachte sie wütend und betrachtete seine verschlossene Miene. Es ist einfach unfair, dass er mich so leicht aus der Fassung bringen kann, ihn dagegen alles völlig kaltlässt.
„Ich hasse abstrakte Kunst“, fuhr sie fort, in der Absicht, ihn aus der Reserve zu locken. „Ehrlich gesagt, finde ich sie abscheulich. Stell dir vor, mir gefallen langweilige, altmodische Bilder, auf denen ich erkenne, was sie darstellen. Ich mag Blumen und Landschaften. Beim Anblick dieser wirren Klecksereien bekomme ich höchstens Kopfschmerzen. Die Vorstellung, jemanden zu beauftragen, mir ein paar Bilder als Kapitalanlage zu kaufen, finde ich absurd! Und wo ich gerade schon dabei bin – ich finde auch Ledersofas scheußlich. Im Winter friert man darauf, und im Sommer klebt man daran fest. Ich mag gemütliche Polstersessel, in denen man mit einem Buch versinken kann.“
„Ich verstehe. Du hast deine Position völlig klar gemacht. Du willst keine Hilfe beim Einrichten, und du hasst mein Apartment.“
Normalerweise neigte Sarah nicht zur Bösartigkeit. Und sie würde nicht einmal im Traum daran denken, jemanden für seinen Einrichtungsstil zu kritisieren: Darum schämte sie sich jetzt auch furchtbar. Aber das Dilemma, in das Raouls Gegenwart sie brachte – sich ständig gegen die Anziehung, die er auf sie ausübte, wappnen zu müssen und sie doch insgeheim zu genießen –, zerrüttete allmählich ihre Nerven. Trotz all seiner Fehler, seiner Arroganz, seiner unglaublichen Sturheit und Engstirnigkeit war er einfach unbeschreiblich. Und trotz ihres Widerstands hatte sie sich erneut Hals über Kopf in ihn verliebt.
„Trotzdem müssen wir miteinander reden“, beharrte sie und sah ebenfalls starr auf die Straße.
„Stimmt. Müssen wir“, antwortete er zu ihrer Überraschung.
Erstaunlicherweise hatte ausgerechnet Sarahs Ausbruch ihn zur Besinnung gebracht. Sie war so anders als alle anderen Frauen. Es war ihm immer leichtgefallen, die Frauen in seinem Leben in eine Schublade zu stecken. Ihnen kam in seinem Leben ein bestimmter Zweck zu – aber sie brachten es nicht durcheinander.
Jetzt, da Sarah wieder in seinem Leben aufgetaucht war, und dann noch unter diesen hochbrisanten Umständen, musste er sich eingestehen, dass sein Leben sozusagen Kopf stand. Er konnte sich selbst nicht erklären warum. Vielleicht weil sie sich zu einer Zeit kennengelernt hatten, in der er besonders empfänglich dafür gewesen war und in der ihm noch alle Optionen offenstanden. Oder einfach weil sie so verdammt ehrlich und aufrichtig war und vor Lebenslust sprühte und es ihm deshalb nicht gelungen war, seine übliche Distanz aufrechtzuerhalten. Sarah behandelte ihn nicht wie ein rohes Ei. Sie war einfach sie selbst und versuchte nicht, ihm alles recht zu machen. Außerdem begleitete sie nicht jede seiner Äußerungen mit begeisterten „Ahs“ und „Ohs“. Auch sein Apartment ließ sie kalt, obwohl sich dort am deutlichsten sein Reichtum zeigte. Im Gegenteil: Sie ließ keine Gelegenheit aus, ihn zu kritisieren. Vermutlich hätte sie ein Buch über seine Fehler und Mängel schreiben können.
Nichts glich mehr dem Leben, wie er es kannte und schätzte. Ein Picknick? Brettspiele? Abendessen zu Hause? All das wäre früher undenkbar gewesen.
Sie hielten vor Sarahs Wohnung. Sie hob einen schlaftrunkenen Oliver aus dem Kindersitz. Raoul nahm ihr den Schlüssel aus der Hand und schloss die Haustür auf. Er küsste den dunklen Haarschopf seines Sohnes und erntete ein schläfriges Lächeln.
„Ich bringe ihn schnell ins Bett“, flüsterte Sarah. „Warum holst du dir nicht etwas zu trinken, dann können wir über alles reden.“
Raoul sah sie an. Ihre Locken waren zerzaust, ihre Wangen noch immer leicht gerötet. Die obersten Knöpfe ihrer Bluse standen offen – was ihr offensichtlich entgangen war.
„Gute Idee“, stimmte er zu.
Sie konnte seinen Gesichtsausdruck nicht
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