Nach all diesen Jahren
haben, möchte ich nämlich mit meinen Eltern reden. Ich habe bis jetzt kein Wort über die ganze Angelegenheit verloren, aber Oliver hat dich bereits mehrmals erwähnt, als meine Mutter angerufen hat.“
Was sie geflissentlich nicht erwähnte: Sie hatte ihre Eltern seit einem Monat nicht mehr besucht – was absolut ungewöhnlich war. Aber sie fand es leichter, dem Problem einfach aus dem Weg zu gehen. Zweifelsohne würde ihre Mutter ihr nämlich ansehen, dass etwas nicht stimmte – und dem wollte sie sich einfach nicht stellen.
„Egal. Das ist nicht dein Problem. Du musst sie überhaupt nicht kennenlernen. Ich werde ihnen alles erklären. Es hat sie immer belastet, dass du nicht wusstest, dass du einen Sohn hast. In dem Punkt kann ich sie ja jetzt beruhigen …“
„Und ich soll sie nicht treffen, weil?“
„Das ist doch völlig unnötig! Du wirst mit Oliver zu tun haben … aber unser beider Leben wird das nicht berühren. Und letztlich wollte ich genau darüber mit dir reden! Wir müssen die Besuchsrechte besprechen und uns da einigen. Ich gehe davon aus, dass wir dafür keine Anwälte bemühen müssen. Ich meine … die letzten Wochen sind wir doch prima klargekommen. Ich bin mir durchaus der Tatsache bewusst, dass es für dich eine Ausnahmesituation war, aber ich passe mich in Zukunft gern deinem Terminplan an.“
Raoul war das ganze Gespräch zuwider. Auch wenn er zugeben musste, dass es eigentlich genau so verlief, wie er es sich gewünscht hätte. Aber plötzlich entrüstete ihn der Gedanke, dass sie ihn mit einem gelegentlichen Wochenende oder Besuch abspeisen wollte, auch wenn sie ihm zugestand, dass er diese Tage bestimmen konnte.
„Besuchsrechte?“ Er sprach das Wort aus, als würde es sich um etwas Anstößiges handeln.
„Genau! Es wäre gut, wenn wir uns auf einen bestimmten Tag einigen könnten. Obwohl … bei deinem Lebensstil dürfte das wahrscheinlich schwierig sein.“
Unwillkürlich fragte sie sich, wann er diesen wohl wieder aufnehmen würde. Und dabei dachte sie nicht an seine Arbeit. Sollte sie ihn noch einmal darauf hinweisen, dass er Oliver bitte nicht mit fremden Frauen konfrontieren sollte? Oder wäre er sensibel genug und würde das von sich aus unterlassen?
Regeln sind ja schön und gut, erkannte Sarah. Doch schon jetzt wurde ihr schwer ums Herz, wenn sie an die Zukunft dachte. An die Tage, an denen Raoul Oliver abholen würde und etwas mit ihm unternahm, wovon sie ausgeschlossen sein würde. Ich habe mich tatsächlich an unser Trio gewöhnt. Sie schluckte schwer, um nicht in Tränen auszubrechen.
„Willst du nicht sagen, wie du die Sache siehst?“, erkundigte sie sich zaghaft.
„Wenn ich dich richtig verstehe“, antwortete Raoul mit ausdruckloser Stimme, „sprechen wir gerade davon, dass ich an bestimmten Tagen Oliver abhole und ihn ein paar Stunden später wieder bei dir abliefere? Und darauf würde sich unsere Beziehung beschränken?“
„Mir wäre es lieber, wenn wir nicht von Beziehung sprächen.“ Allein das Wort weckte Sehnsüchte in ihr, darum wollte sie es tunlichst vermeiden.
„Sondern?“
„Inzwischen sind wir doch Freunde geworden, oder? Noch vor ein paar Wochen hätte ich das zwar nicht für möglich gehalten, aber es ist so. Jetzt.“
„Freunde?“
„Genau. Wir haben doch bis jetzt an diesem … Projekt … gut zusammengearbeitet.“ Vielleicht war das eine etwas unglückliche Formulierung, dachte sie und senkte verlegen den Blick. Dabei stellte sie fest, dass sie offensichtlich ihr Glas leer getrunken hatte. Am liebsten wäre sie aufgestanden und geflüchtet.
„Und mit dieser Situation bist du wirklich zufrieden, Sarah?“
Ich weiß gar nichts mehr, gestand sie sich ein und sah Raoul an. Sie hatte das Gefühl, in der Tiefe seiner dunklen Augen zu versinken. Plötzlich schien sich alles um sie zu drehen.
„Ja. Natürlich“, stieß sie gepresst hervor.
„Freunde, die ab und zu höflich Konversation betreiben …“
„Ich glaube, so ist es üblicherweise …“
„Das will ich aber nicht, und das weißt du auch!“
Wie im Zeitraffer zogen plötzlich einzelne Szenen der letzten Wochen an Sarahs innerem Auge vorüber. All die scheinbar unbedeutenden Kleinigkeiten, die aber genügt hatten, um ihre so heftig verteidigte Distanz zusammenbrechen zu lassen. Und jetzt das! Sie beide, eng nebeneinander auf dem Sofa … und er sagte genau die Worte, die sie absolut nicht hören wollte.
„Raoul …“, seufzte sie.
Seine Antennen
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