Nach all diesen Jahren
verlieben. Und jetzt musste sie für diese Dummheit zahlen. Wie einfach wäre es sonst, ihn zu heiraten.
„Und jetzt sage ich dir noch etwas … auch wenn ich weiß, dass du das nicht gern hörst: Wir passen in mehr als einer Hinsicht ‚gut‘ zusammen.“
„Kannst du immer nur an Sex denken?“ Sarah verschränkte die Arme vor der Brust. „Tust du das, weil du meinst, das wäre mein schwacher Punkt?“
„Und? Ist er es?“
Plötzlich kam ihr seine Nähe unerträglich vor. Sie konnte kaum noch atmen und senkte den Blick. Leider standen die obersten zwei Knöpfe seines Hemdes offen und sie sah seine gebräunte Haut.
„Daran kann ich beim besten Willen nichts Schlimmes finden“, murmelte Raoul. „Im Gegenteil. Wir heiraten. Oliver hat endlich Vater und Mutter. Und wir ‚freuen‘ uns aneinander. Schluss mit: Hätte ich nur, sollte ich nicht … Schluss mit den moralischen Standpauken, obwohl du mir eigentlich am liebsten die Kleider vom Leib reißen würdest.“
„Ich … ich … das stimmt gar nicht!“
„Doch! Und das weißt du auch ganz genau! Jedes Mal, wenn ich bei dir war, musste ich hinterher kalt duschen.“ Er hob mit den Fingerspitzen ihr Kinn und sah ihr in die Augen. „Sarah. Mach es uns … mach es dir … doch nicht so schwer.“
Zum Glück rief Oliver in diesem Moment nach seiner Mutter und rettete sie. Hastig trat sie einen Schritt zurück.
„Ich kann dich schlecht gefesselt und geknebelt vor den Traualtar zerren, Sarah. Aber ich bitte dich, überleg es dir in aller Ruhe! Und denk vor allem an die Konsequenzen, solltest du ablehnen.“
„Ist das eine Drohung?“
„Drohungen sind nicht mein Stil. Warum versuchst du nicht einfach, einmal eine andere Perspektive einzunehmen?“
„Willst du andeuten, ich wäre egozentrisch?“
„Wenn du dich da angesprochen fühlst …“
„Ich bin einfach nicht so zynisch wie du, Raoul. Aber das macht mich noch lange nicht selbstsüchtig.“
Angesichts Sarahs weiblicher Logik schüttelte Raoul verzweifelt den Kopf. „Was ist denn daran zynisch, wenn ich an das Wohl unseres Kindes denke? Sarah, ich bitte dich, denk einfach in Ruhe darüber nach. Lass uns in den Garten gehen. Oliver scheint genug von der Schaukel zu haben. Aber eins noch: Du unterstellst mir, ich wolle es keinem anderen Mann gönnen, meine Stelle einzunehmen. Jetzt stell dir bitte vor: Eine andere Frau würde deine Stelle einnehmen.“
Damit verließ er den Raum. Sarah sah ihm schockiert nach. Das ist eindeutig eine Drohung! dachte sie. Er macht es sich wirklich einfach. Oliver braucht Vater und Mutter – also heiraten wir. Zwischen uns besteht immer noch eine erotische Anziehung – also gehen wir miteinander ins Bett. Und das nur, weil sie es abgelehnt hatte, seine Geliebte zu werden! Eine Heirat würde für ihn das leidige Problem aus der Welt schaffen, sich mit einem Konkurrenten auseinandersetzen zu müssen. Er hielt seinen Vorschlag für absolut perfekt. Und wenn man Einwände hatte, war man eben selbstsüchtig. Typisch!
In den folgenden Tagen bekam Sarah einen kleinen Vorgeschmack darauf, wie es sein würde, wenn sie sich in Zukunft nur noch auf einer rein sachlichen Ebene treffen würden. Raoul legte eine ausgesuchte Höflichkeit an den Tag, die absolut erschreckend wirkte. Aber vielleicht bilde ich mir das alles nur ein, sagte sie sich. All das ist lediglich eine Ausgeburt meiner Fantasie.
Sie versuchte erneut, das Thema anzuschneiden, aber Raoul winkte ab und bat sie noch einmal, einfach in Ruhe über den Vorschlag nachzudenken. „Lass dir einfach Zeit und schau, wie du mit unserem jetzigen Arrangement zurechtkommst. Ich möchte nicht, dass du dich zu einer Entscheidung gezwungen fühlst, die du dann bereust.“
Mit ein paar Worten gelang es ihm, sie als jemanden darzustellen, der verantwortungslos und unfähig war, Entscheidungen zu treffen. Sarah kochte vor Wut, dazu gesellte sich der bohrende Zweifel, was wäre, wenn Raoul die Frau fürs Leben fände. Jetzt, da der Gedanke an Heirat einmal im Raum stand, entschied er sich vielleicht für eine andere? Vielleicht hatte er sich mit der Vorstellung, sich zu binden, ausgesöhnt? Oliver war es offensichtlich gelungen, die Fassade des eingefleischten Junggesellen zum Bröckeln zu bringen – wie der Heiratsantrag bewies.
Der natürlich aus den völlig falschen Gründen erfolgt war! Aber immerhin hatte Raoul eine riesige Hemmschwelle überschritten. Auch wenn er es als reine Vernunftentscheidung
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