Nach alter Sitte
dass er sich dies vielleicht für später aufheben könnte, und beließ es beim stillen Genuss.
»Wo ist denn der schöne Groschen?«, fragte er in Gustavs Richtung. Der grinste kopfschüttelnd und antwortete: »Vermutlich meinst du Alexander Grosjean. Der ist, wie er mir gestern beim Abendessen sagte, kein Frühstücker. Aber er hat den Umzug jetzt wohl durch. Wäre es euch unangenehm, wenn er hin und wieder an unserem Kreis teilnimmt?«
»Aber nein, wie kommst du darauf?«, beeilte sich Bärbel zu sagen, bevor Lorenz etwas dazu entgegnen konnte. »Wir sind doch keine geschlossene Gesellschaft, und Herr Grosjean scheint doch ein sehr freundlicher und kultivierter Mensch zu sein, nicht wahr?«
Bei dieser Frage sah sie Lorenz an, und der antwortete: »Freundlich und kultiviert? Mag sein. In diesen Dingen bin ich nicht kompetent, also mich müsst ihr nicht fragen. Wenn ihr meint, dass der Beau kein falscher Groschen ist, schließe ich mich an.«
»Das lassen wir mal so stehen«, meinte Gustav. »So richtig kenne ich ihn ja auch noch nicht, aber ich denke, das könnte passen.«
Bärbel lächelte Gustav so an, das er sich beeilte hinzuzufügen: »Für uns meine ich. Also – ich meine – wir haben uns so aneinander gewöhnt, da muss man ja mal überlegen dürfen, ob jemand Neues in die Gruppe passt, oder?«
»Natürlich, Gustav«, sagte Bärbel und tätschelte seine Hand. Lorenz beobachtete dies mit einem schiefen Grinsen und wollte noch etwas Bissiges hinzufügen, wurde aber durch Polizeioberkommissar Willi Hurtz daran gehindert, als dieser überraschend an ihren Tisch trat und sagte: »Moin zusammen. Lorenz Bertold, darf ich Sie bitten, mir unauffällig zu folgen?«
»Kann ich nicht«, antwortete Lorenz. »Erstens bin ich durch die Leitung des Hauses angehalten, mein Frühstück in befohlener Menge und in Ruhe zu mir zu nehmen, zwecks Erhaltung meiner Gesundheit und Zahlungskraft, Priorität liegt vermutlich auf Letzterem. Zweitens bin ich grundsätzlich nicht zur unauffälligen Verfolgung von Polizisten geeignet.«
»Spaß beiseite, Lorenz«, sagte Hurtz ungeduldig. »Ich muss dich mitnehmen.« Er senkte seine Stimme und fuhr fort: »Et is ein Mord passiert, und du bist verdächtig, zumindest wat damit zu tun zu haben. Ich muss dich wirklich bitten, mit mir zu kommen. Die Krippo will dich direkt am Tatort sehen, frach mich nich warum.«
»Das ist aber ungewöhnlich«, mischte Bärbel sich ein. Und sie setzte fragend hinzu: »Das ist doch ungewöhnlich, oder nicht?«
»Finde ich auch«, meinte Gustav. »Was ist denn passiert? Wir gehen natürlich mit!«
»Nicht doch.« Willi Hurtz streckte beide Hände mit gespreizten Fingern weit von sich. »Bitte nur der Lorenz. Und ich sach ja nich, dat er verhaftet is. Es steht 'ne Befragung an, ich muss ihn sofort nach Blens bringen.«
»Nach Blens?«
»Ja«, sagte der Polizist und ärgerte sich, überhaupt etwas in dieser Richtung geäußert zu haben. »Bitte, Lorenz. Sofort.«
Lorenz stand auf und ergriff seinen Gehstock. »So sei es denn. Ich bin nur ein kleiner, unbescholtener Bürger und füge mich der Polizeigewalt. Allerdings, so schnell geht das nicht. Ich bin nämlich sowohl unbescholten als auch gehbehindert.«
Er folgte Willi Hurtz sehr langsam durch den Speisesaal. Im Vorübergehen knuffte er Benny, der am Buffet gerade einem anderen Hausbewohner beim Beladen seines Tellers behilflich war. Als Lorenz und Willi Hurtz den Saal verlassen hatten, sprangen Bärbel und Gustav auf und eilten zu dem jungen Pfleger. »Benny«, sagte Gustav. »Wir brauchen dich – sofort. Fahr schon mal den Wagen vor. Es geht nach Blens. Opa Bertold steckt in einem mörderischen Schlamassel.«
»Aye, Aye, Sir«, sagte Benny, wies mit einer Handbewegung eine Kollegin hinter der Theke an, dem von ihm betreuten hochbetagten Mann weiterzuhelfen, und lief hinaus.
Als Willi Hurtz und Lorenz sich dem Grundstück von Wilhelm Naas näherten, herrschte dort großer Betrieb. Hurtz parkte seinen Passat am Friedhof und führte Lorenz zu einer Frau, die breitbeinig am Straßenrand stand. »Frau Kock, das ist Herr Bertold«, stellte Hurtz Lorenz vor. »Dies ist Kriminalhauptkommissar Ella Kock, sie leitet hier die Ermittlungen.«
»Welche Ermittlungen?«, wollte Lorenz wissen. Ella Kock strich sich über ihr streichholzlanges Haar, das nach allen Seiten von ihrem markanten Schädel abstand, und dröhnte: »Hier stelle ich die Fragen, Opa – äh, Opa Bertold, nicht wahr?«
»Wenn Sie so
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