Nach alter Sitte
Aspekt abgewonnen zu haben, denn er ging zur Tür und verabschiedete sich mit den Worten: »Wenn der Professor mich jetzt lang abhält, kannst du dich mit dem in der Grube rumschlagen. Und ich fahr dann mit dem Bagger drüber, un joot es!«
Er trat aus dem Zimmer und wollte die Tür von außen schließen, doch in diesem Moment näherte sich neuer Besuch. Bärbel Müllenmeister trat herein und sah dem Bauern nach, als sie sagte: »Hallo Lorenz. Ich wollte mal vorbeischauen und berichten. Was wollte der denn?«
»Du meinst den Ururenkel von Wilhelm dem Zweiten?«, brummte Lorenz. »Den eingebildeten Ururenkel natürlich«, setzte er hinzu, als Bärbel ihn überrascht ansah. »Der alte Bauer spinnt. Natürlich ist er kein Abkömmling des alten Fürstengeschlechtes. Die sind ausgestorben, das weiß ich.«
»Und was wollte er also?«, fragte Bärbel und kam nun ganz ins Zimmer.
Lorenz schloss die Tür hinter ihr. »Er ist sauer, weil man ihm nun das Baggern auf seinem Grundstück bis auf Weiteres untersagt hat, weil ich das hier in seiner Baugrube entdeckt habe.« Er zeigte ihr den Fetzen des römischen Kettenpanzers.
»Dann warst du also erfolgreich? Das ging aber schnell.«
»Na ja«, meinte Lorenz. »Es ist nur ein kleines Stück und weit davon entfernt, ein Schlachtfeld nachzuweisen. Aber es ist ein glücklicher Anfang, mit dem so flott in der Tat nicht zu rechnen war. Und wie lief es in der großen bösen Stadt? Was macht das ominöse Bild?«
»Dem ominösen Bild geht’s gut«, antwortete Bärbel. »Mein Kollege Justus hat ein paar neue Spielzeuge am Institut, mit denen er dem Gemälde zu Leibe rückt. Neben den traditionellen Methoden gibt’s da diverse technische Tricks zur Untersuchung der Farbe, des Holzes und so weiter. Da kommt viel mehr raus, als man an der Oberfläche sehen kann. Er meldet sich bald, und dann sehen wir weiter.«
»Gut«, meinte Lorenz erleichtert. »Ich bin schon ein wenig beunruhigt deswegen und wäre froh, mehr darüber zu erfahren.«
Bärbel schüttelte den Kopf und nahm eine Hand des Alten zwischen die ihren. »Ein wenig beunruhigt? Lieber Lorenz, mich würde das völlig verrückt machen! Gib zu, so kühl bist du innerlich doch gar nicht, oder?«
»Weiß nicht«, murmelte Lorenz, dem sehr viele Gedanken durch den Kopf schossen. Sollte er Bärbel nun von Stephan und dessen Brief erzählen? Dann betrachtete er seine Hand in der ihren und dachte daran, wie sie diese Sache erschrecken würde. So beschloss er, Stephans Brief vorerst nicht zu erwähnen. Bärbel bemerkte seinen Blick und zog ihre Hände zurück. Lorenz hatte das Bedürfnis, ihr zu sagen, dass sein Blick so nicht gemeint gewesen war und sie seine Hand ruhig weiterhalten könnte, doch er tat es nicht. Stattdessen versuchte er ein Lächeln und sagte: »Es ist schon spät. Haben wir das Abendessen nun schon verpasst oder muss ich mir das noch antun?«
10. Kapitel
Die Glut der Zigarre leuchtete dunkelrot durch die Nacht. Der alte Bauer blies dicke Rauchschwaden in die Luft. Wie fast immer, wenn er unter dem Sternenhimmel stand und rauchte, erinnerte er sich an die Kriegserzählungen seines Vaters über die dunklen Nächte in Russland, in denen das Rauchen verpönt gewesen war. Die Glut leuchtete weithin sichtbar durch die Dunkelheit, und man durfte sich nicht wundern, wenn ein Russe, der gut mit seinem Gewehr umgehen konnte, dem nächtlichen Rauchgenuss mit einem Schuss ein jähes Ende setzte. Wilhelm Naas der Ältere, stur wie ein Bulle, hatte trotzdem geraucht. Und immer, wenn er einen Iwan erwischen konnte, hatte er ihm dessen grässlich schmeckende Papirossi abgenommen und sie trotzig geraucht. Sollten sie sich doch dafür rächen, wenn sie konnten. Aber er war ohne nennenswerte Verletzungen durch den Krieg gekommen und in die Eifeler Heimat zurückgekehrt. Er hatte in Blens einen landwirtschaftlichen Betrieb aufgebaut und Wilhelm Naas den Jüngeren gezeugt. Und der rauchte zu Ehren seines lange verstorbenen Vaters gerne im Dunkeln und stellte sich vor, dass über ihm die unendliche Weite des russischen Sternenhimmels wäre und er, dem lauernden Iwan zum Trotz, hier stehen und rauchen könnte. Leise brummte er ein altes Lied: »Weit ist das Land, unsagbar schön ...«
»Fred Bertelmann, nicht wahr?«
Die Stimme riss Wilhelm Naas aus seinen Träumen. »Glaub schon«, murmelte er. »Auch schon da? Hab lang jewartet.«
»Irgendeiner wartet immer.«
»Wat?«
»Ach, lass stecken, ist egal«, meinte die Stimme aus
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