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Nach alter Sitte

Nach alter Sitte

Titel: Nach alter Sitte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Breuer
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Farben später. Damit sind wir beim nächsten Punkt, der Farbe: Typischer Anfängerfehler ist die Verwendung von Titanweiß, dem heute gängigen Weiß in der Ölmalerei. Dies wurde auch hier verwendet. Im Spätmittelalter gab es jedoch noch kein Titanweiß, sondern es wird erst seit etwa 1920 verwendet. Bei der großen Kunstfertigkeit und Detailtreue sowie der stilistischen Perfektion dieses Bildes würde ich einen solchen Fehler nicht erwarten. Aber da ja bereits die figürliche Darstellung offensichtlich vom Original abweicht, haben wir es ohnehin nicht mit einer Fälschung im engeren Sinne zu tun. Also passt das ja ins – hihi, ins Bild.«
    »Justus, ich bitte dich«, warf Bärbel ein. »Das ist eine ernste Sache, besonders für den armen Lorenz, dessen verschollene Tochter hier abgebildet wurde, neben ihm selbst.«
    »Oh ja, selbstverständlich«, sagte Neuendorf, jedoch ohne echtes Bedauern zu zeigen. Er schien zu sehr von wissenschaftlicher Neugier gepackt worden zu sein, um sich mit solchen Sentimentalitäten aufzuhalten. Er fuhr fort: »Meine Lieben, ich will euch auch gar nicht mit mehr Details zur Oberfläche quälen, denn was viel spannender ist, zeigt sich dem Auge des Betrachters ohnehin nicht. Die Sensation liegt tiefer.«
    Neuendorf blickte triumphierend von Bärbel zu Lorenz. Der stampfte mit dem Gehstock auf und sagte: »Nun denn!«
    »Sehr gerne«, erwiderte der Professor. »Wir haben zunächst mit Woodschem Licht und monochromatischem Licht gearbeitet, um zeitlich versetzte Verbesserungen und Übermalungen zu erkennen. Dieses Bild, wie es sich dem Betrachter anbietet, wurde sehr schnell gemalt, ich würde sagen, innerhalb weniger Tage, und es ist vielleicht nur wenige Monate bis ein Jahr alt. Aber dann haben wir eine Tiefenanalyse mit Infrarot-Reflektographie durchgeführt, und bum!«
    »Was heißt bum?« Lorenz zitterte vor Ungeduld.
    Justus Neuendorf zeigte sich fröhlich wie ein Schuljunge, dem ein besonderes Experiment geglückt ist. »Bum heißt, wir fanden unter der sichtbaren Schicht etwas Sensationelles. Oft findet man mit der Reflektographie Bleistiftzeichnungen, Quadratraster, wie sie von Fälschern bei der Übertragung gerne verwendet werden, und Ähnliches. Hier fanden wir keine Rasterung, sondern etwas viel Spannenderes: ein älteres Bild.«
    »Was?«, rief Bärbel aus.
    »Jawohl, ein älteres Bild, das vor Kurzem erst komplett übermalt worden ist. Dieses ältere Bild ist ebenfalls ganz im Stile Stephan Lochners gemalt. Und hier wurden, ich habe winzige Stellen freilegen müssen, um die Farbe genau zu analysieren, ausschließlich Stoffe verwendet, die im Spätmittelalter üblich waren. Also beispielsweise eben kein Titanweiß, nur erdige Pigmente. Das Motiv stellt eine Kombination von Personen dar, die ich so noch nicht gesehen habe. Ich konnte leider keine der dargestellten Personen identifizieren. Das liegt daran, dass diese so gar nicht zu Lochner passen wollen. Aber es ist deutlich zu erkennen, dass es sich um Römer und Germanen oder Gallier handelt. In Lochners Werkstatt wurden solche antiken Motive überhaupt nicht verwendet, das passt gar nicht in die Zeit. Da ist ein Charakterkopf dargestellt, mit Bart und Flügelhelm, da würde ich auf Vercingetorix tippen. Auf dem Boden vor ihm kniend zwei Römer.«
    »Ambiorix«, warf Lorenz ein. »Ich wette, es ist Ambiorix.«
    Neuendorf sah ihn erstaunt an. »Woher wollen Sie das wissen? Aber schauen Sie selbst, wir haben natürlich Fotos bei der Tiefenanalyse angefertigt.« Der Professor kramte auf seinem Schreibtisch herum und öffnete eine Mappe mit Fotografien. Er fuhr fort: »Dort ist auch die Signatur des Künstlers zu erkennen. GMB. Das soll wohl ein bislang unbekannter Schüler aus Lochners Werkstatt sein, ich weiß es nicht. Aber da wir ja ohnehin wissen, dass auch das untere Bild eine Fälschung ist, wenn auch eine wesentlich raffiniertere ...«
    »Still!«, sagte Lorenz scharf und riss Neuendorf eine der Fotografien aus der Hand. Er starrte auf das Bild, das er in seiner zitternden Hand hielt.
    »Was hast du?«, fragte Bärbel, die erschrocken neben ihn getreten war und vergeblich auf der Fotografie nach etwas Besonderem suchte. Lorenz tippte auf die rechte untere Ecke, wo deutlich die drei Buchstaben der Signatur zu erkennen waren.
    »GMB«, wiederholte er mit kraftloser, brüchiger Stimme. »Gerda Maria Bertold. Das ist die Signatur meiner Tochter.«
    »Oh mein Gott«, stieß Bärbel hervor. »Wie kann das sein?«
    »Unsere

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