Nach alter Sitte
Und das ist deine Tochter?«
»Ja«, antwortete Lorenz, der mit düsterer Miene ebenfalls auf das Bild starrte. »Oder eigentlich nicht, denn sie lebt schon lange nicht mehr, und Gerda war viel jünger, als sie starb. Diese Frau auf dem Bild gibt es in Wirklichkeit nicht.«
»Aber es hat den Anschein, als befinde sich unter diesem Gemälde ein weiteres Bild, das vielleicht vor vielen Jahren von Gerda angefertigt wurde«, sagte Bärbel. »Ihre Signatur und das Ambiorix-Thema deuten daraufhin. Das ist alles sehr rätselhaft.«
»Und du weißt doch gar nicht, ob Gerda wirklich tot ist«, wandte Benny ein. »Wenn ich das richtig kapiert hab, ist sie doch spurlos verschwunden. Mag sein, dass sie nicht der Typ zum Abhauen war, aber nix Genaues weißte doch nicht, oder?«
»Ich spüre, dass sie nicht mehr lebt«, sagte Lorenz. »Wenn du mal Kinder hast, und das hoffe ich sehr für dich, dann wirst du erleben, dass man vieles nicht sehen muss, um es zu wissen.«
»Hat aber noch Zeit«, meinte Benny. »Ich möchte erst noch ein paar Jahre das Kindermachen üben, bevor’s ernst wird.«
»Benny, du bist ein Ferkel!«, warf Bärbel ein. »Aber recht hast du.«
»Klar hab ich recht. Beim Üben merk ich jedes Mal, wie richtig sich das anfühlt. Aber was hat das Bild jetzt mit dem toten Bauern aus Blens zu tun?«
»Wenn ich das nur wüsste«, brummte Lorenz. »Tatsache ist, Gerda und ich suchten nach dem historischen Schlachtfeld des Ambiorix. Auf dem Grundstück des ermordeten Wilhelm Naas fand ich einen Hinweis darauf. Und nicht genug damit, der Mörder hat bei der Leiche einen Hinweis auf mich hinterlassen.«
»Genau«, meinte Bärbel. »Ich hab es aufgeschrieben: Zu viel hat er sich vorgenommen. Der Schmied ist ihm zuvorgekommen. Warum der Alte sterben musst? Hat Opa Bertold es gewusst? «
Benny fragte: »Und was bedeutet der Quatsch? Das hat doch wohl ein totaler Spinner geschrieben, ist doch klar.«
»Nicht unbedingt«, entgegnete Lorenz. »Der Ermordete hieß Wilhelm, und er wurde mit einem Hammer erschlagen, genau wie Wilhelm der Vierte, der Graf von Nideggen, der hier in der Pfarrkirche Johannes Baptist beerdigt wurde. Dort wurde übrigens auch dieses Bild deponiert.«
»Und was heißt, er hätte sich zu viel vorgenommen?«
»Was das für den Naas bedeutet, weiß ich nicht. Wilhelm wurde beim Versuch, die Stadt Aachen einzunehmen, von einem wehrhaften Schmied erschlagen. Man könnte also sagen, er wollte zu viel und hat dafür mit dem Leben bezahlt.«
»Der Mörder kennt sich also in der Geschichte aus«, grübelte Bärbel. »Solche Dinge muss man ja erst einmal wissen.«
»Ganz genau«, bestätigte Lorenz. »Und es gibt da diese Behauptung des alten Naas, er stamme direkt vom Grafen Wilhelm ab. Das halte ich zwar für ausgemachten Bauernschwindel, aber immerhin hat er es gesagt, und vermutlich nicht nur uns.«
»Aber deswegen bringt man doch keinen um, oder?«, fragte Benny.
»Sicherlich nicht. Es sei denn, man ärgert sich drüber, weil man dies für sich selbst in Anspruch nimmt.«
»Wäre denn so etwas denkbar?«
Lorenz schüttelte den Kopf. »Nein, das war nur so ein Blödsinn von mir. Diese Familie ist ausgestorben. Da gibt es keine direkten Nachkommen. Das wüsste ich.«
»Und ich wüsste mal gerne, wo Gustav bleibt«, sagte Bärbel. »Er müsste längst hier sein.«
Benny lachte. »Der hat bestimmt die Zeit mit seinem neuen Freund vergessen. Verliebte zählen vielleicht ihre Herzschläge, aber nicht die Stunden.«
Lorenz verdrehte die Augen und murmelte: »Dem alten Ermittler war zwar nichts Menschliches fremd, aber der junge Bengel brachte es dennoch fertig, ihn zu beunruhigen.«
»Kommissar Wollbrand soll sich mal nicht so haben«, grinste Benny. »Dass Onkel Gustav immer schon der Männerwelt zugetan war, wissen wir. Und der Grosjean ist ja auch ein Netter.«
»Davon will ich gar nix hören«, beschwerte sich Lorenz. »Es mag sein, wie es will, aber hört auf, davon zu reden.«
Bärbel strich dem Alten sanft über die Schulter. »Das lernst du auch noch zu verstehen, glaub mir. Und außerdem wissen wir ja gar nicht, ob die beiden nicht einfach nur Freunde werden, weil der Grosjean ein netter Kerl ist. Vielleicht passt er ja auch gut zu uns, wer weiß?«
»Jaja, wer weiß«, grummelte Lorenz in einem Tonfall, der nahelegte, dass er dieses Thema nicht zu vertiefen gedachte. Dies erübrigte sich auch, denn es klopfte an der Tür, und als Benny öffnete, trat Gustav
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