Nach alter Sitte
Großtante.«
»Du bist jüdischer Abstammung?«
»Ja. Das weiß ich aber erst seit Kurzem. Dieser Grabstein ist alles, was von meiner Familie übrig geblieben ist.«
»Verstehe«, sagte Alexander. »Der verfluchte Holocaust.«
Gustav nahm die Lade mit dem gemahlenen Kaffee aus der Mühle und füllte das Pulver in einen Filter, der bereits auf der Kanne steckte.
Alexander Grosjean fuhr fort: »Du hast nette Freunde hier gefunden. Kommt mir so vor, als wäre das auch so etwas wie Familie. Oder sollte ich mich darin täuschen?«
»Du täuschst dich nicht.« Gustav nahm den Wasserkessel von der Kochplatte und goss etwas davon über das Kaffeepulver. »Die beiden wissen mehr über mich, als mir selbst noch vor einem Jahr bewusst war. Mit Lorenz und Bärbel ist es beinahe wie mit dem Kaffee. Es ist vorher auch gegangen, aber sobald du dich daran gewöhnt hast, kannst du dir das Leben ohne nicht mehr vorstellen. Ich hätte nicht gedacht, nach einer langen Zeit der Einsamkeit noch mal so gute Freunde zu finden.«
»Das ist sehr schön. Und du hast sie hier kennengelernt?«
»Ja. Wollte mich nach vielen Jahren in der Fremde hier in meiner Heimat zur Ruhe setzen. Wer hätte gedacht, in einem Altenheim solch agile Menschen zu treffen?«
»Na ja, die Seniorenresidenz Burgblick ist auch nicht irgendein Altenheim«, meinte Alexander. »Sonst wäre es auch nicht meine Wahl gewesen.«
»Und warum ist es deine Wahl?« Gustav goss nun den Filter randvoll mit dem heißen Wasser.
»Da muss ich ein bisschen ausholen. Nachdem ich als Fotograf nur mittelmäßig erfolgreich war, stieg ich in die Kunstgalerie eines Freundes ein. Es lief lange Zeit ganz gut, Niederlassungen in Hamburg, Düsseldorf und Berlin. Es kam viel Geld herein, und auch sonst schien alles wunderbar. Dann aber merkte ich irgendwann, dass mein Partner krumme Dinge machte, geschäftlich wie auch privat. Das hat mich ziemlich fertig gemacht. Vieles konnte ich noch retten, zumindest finanziell, aber ich habe dann gemerkt, dass ich keine Kraft mehr habe, um noch einmal etwas Neues anzufangen. Ich bin auch nicht mehr der Jüngste, wie ich in der Krise feststellen musste.«
Gustav stellte zwei Tassen auf den Tisch. »Zucker oder Milch?«
»Danke, schwarz. Ohne alles.«
»Gut«, meinte Gustav. »Dein Partner hat dich wohl auch menschlich enttäuscht. Ihr wart zusammen, ich meine als Paar?«
Alexander Grosjean lächelte. »So ist es. Ich vermute, das ist dir nicht fremd und schockiert dich nicht.«
»Keineswegs«, sagte Gustav, kommentierte dies aber nicht weiter.
»Und du?«, fragte Alexander. »Wie war dein Weg hierher?«
»Lang«, antwortete Gustav und goss den Kaffee ein. »Ich ging als junger Mann nach Südamerika, hatte dort etwas mehr Glück mit meinem Partner als du, sowohl finanziell wie privat, aber da alles ein Ende hat, war auch dies irgendwann vorbei. Dann erfüllte ich mir einen Kindertraum und lebte ein paar Jahre in Ostafrika, bis mich doch die Sehnsucht nach der alten Heimat packte.«
Die beiden alten Männer genossen schweigend den Kaffee in kleinen Schlucken. Nach einer Weile sagte Alexander lächelnd: »Dein Freund Lorenz scheint nicht so begeistert von mir zu sein. Ist er am Ende vielleicht eifersüchtig?«
»Lorenz ist nicht schwul, wenn du das meinst«, erwiderte Gustav. »Er ist ein knorriger Kauz, aber im Grunde sehr herzlich. Eine Zeit lang war er in dem irrigen Glauben, wir würden um die Gunst Bärbels konkurrieren. Ich sehe heute noch sein Gesicht vor mir, als ihm endlich klar wurde, dass er da völlig falsch lag und ich kein sexuelles Interesse an Frauen hege. Lorenz ist in solchen Dingen unbeleckt, er hat seine Antennen völlig woanders.«
»Ich weiß«, meinte Alexander. »Sein Ruf als Kriminalist im Ruhestand ist ja hier legendär. Aber an mir wird er hoffentlich nichts Kriminelles finden. Und schwul hatte ich ihn ganz sicher nicht eine Sekunde eingeschätzt.«
Sie lachten und tranken ihre Tassen leer. Gustav schenkte nach. »Ich glaube, Opa Bertold hat ein tiefes Misstrauen gegenüber schönen Männern. Lass ihm seine Art, er meint es nicht böse.«
»Na, wenn es nur das ist.« Alexander lächelte. »Schönheit vergeht, und zwar schneller, als man gucken kann. Und wer sollte das besser wissen als wir alten Knaben.«
14. Kapitel
Das ist ja echt spooky!« Benny betrachtete staunend das Bild, das Bärbel mit einer Staffelei in Lorenz' Zimmer aufgestellt hatte. »Der Typ muss dich ja kennen, wenn er dich so genau malen kann.
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