Nach alter Sitte
wieder«, antwortete Gustav. »Es wird seltener, je älter ich werde, glaube ich.« Er erzählte nicht, dass es überhaupt nicht mehr geschehen war, seit er die Geschichte seiner Herkunft aufgedeckt hatte. Es erschien ihm nicht passend, nun von seinen Eltern zu erzählen, die von den Nazis deportiert wurden und es so gerade noch geschafft hatten, den kleinen Gustav in die Obhut der nicht-jüdischen Großeltern zu geben.
Die beiden Männer ließen sich los und rückten auseinander. Alexander Grosjeans Gesicht wirkte im Licht einer Straßenlaterne sehr schmal. Die dunklen Augen und das schwarze Haar gaben ihm etwas Geheimnisvolles. Gustav fühlte sich von diesem Gesicht angezogen, gleichzeitig aber war ihm selbst unwohl bei dem Gedanken, so schnell jemanden an sich heranzulassen, den er im Grunde noch gar nicht kannte. Er entschied, die Situation schnell und unverfänglich aufzulösen. »Ich bin sehr müde. Solche Anfälle strengen mich immer sehr an. Ich denke, ich mache mich auf den Weg in mein Zimmer.«
»Soll ich dich begleiten?«, fragte Alexander.
»Nein, ich komm schon klar, danke«, sagte Gustav und setzte sich in Bewegung. Nach ein paar Schritten drehte er sich noch einmal um. Alexander stand noch immer unbeweglich da und sah ihm nach. Beide hoben gleichzeitig eine Hand zum Gruß. Dann wandte Gustav sich endgültig ab und setzte seinen Weg zurück zur Seniorenresidenz fort. Dann erst kam ihm die Frage in den Sinn, was Alexander Grosjean in der Nacht nach draußen getrieben hatte. Er nahm sich vor, ihm diese Frage bei nächster Gelegenheit zu stellen.
16. Kapitel
Alte Leute und Studenten, und das alles in der Sackeifel!« Ella Kocks Stimme dröhnte über das Feld. Lorenz und seine Freunde beobachteten belustigt, wie die Kommissarin versuchte, die immer noch nicht abgeschlossenen Untersuchungen am Tatort im Griff zu behalten, während sich direkt daneben eine Gruppe von jungen Archäologen anschickte, den Boden nach römisch-keltischen Artefakten zu durchsuchen.
»Wer befehligt diesen Sauhaufen hier?«
Ein älterer Herr, hochgewachsen und hager, mit einem grauen Vollbart, der genauso kurz geschoren war wie sein Haupthaar, trat zu Ella Kock. »Professor Benno Gräbeldinger«, stellte er sich vor. »Und bei diesen jungen, intelligenten Menschen von einem Sauhaufen zu sprechen, empfinde ich als Affront gegen meine Lehrtätigkeit, wenn ich Ihnen das so unverblümt sagen darf.«
Die Polizistin erwiderte: »Moin Prof, Sie können mir oder jemand anderem verbal Blumen hintun, wohin Sie wollen, aber wenn eine dieser Intelligenzbestien meine Absperrung übertritt, komm ich über Sie!«
»Ich bin sicher, Sie sind eine Naturgewalt«, versetzte Gräbeldinger. »Aber meine Studenten sind durchaus in der Lage, eine Polizeiabsperrung als solche zu erkennen und zu beachten.« Mit diesen Worten wandte er sich ab und machte sich daran, einer Studentin Anweisungen zu geben, wo sie mit einem Spaten einen Anstich in der Baugrube des toten Wilhelm Naas vornehmen sollte.
Benny Bethge stupste Gustav an und wies dorthin. »Schau mal, Gustav. Ist das nicht ein herrliches Bild?«
Gustav beobachtete die Studentin mit einem leisen Lächeln. Die junge Frau war wirklich bildhübsch. Ihr blondes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und mit einem Kopftuch gegen den Schmutz geschützt. Sie trug ein schulterfreies Sportunterhemd und eine kurze Hose, in der ihre schlanken, sonnengebräunten Beine apart zur Geltung kamen. »Nicht ganz meine Kompetenz, mein lieber Junge«, meinte Gustav. »Aber schöne Menschen voller Anmut und Grazie erkennt man unabhängig vom eigenen Interesse.«
»Da bin ich doch froh, dass ich mitgekommen bin«, grinste Benny. »Hat mich bei der Klinkenberg einen Sonntagsdienst gekostet.«
Er schickte sich an, zu der Studentin zu gehen. Gustav rief ihm hinterher: »Und was machst du, wenn sie sich mit dir für den Sonntag verabreden will?«
Benny lachte. »Immer hübsch eine Hürde nach der anderen.«
Gustav, Lorenz und Bärbel sahen dem jungen Pfleger nach, wie er in die Baugrube kletterte und spornstreichs ein Gespräch mit der Studentin begann.
»Mut hat er, das muss man dem Bengel lassen«, meinte Gustav.
Bärbel nickte. »Und dieses junge Ding ist aber auch hübsch.«
Lorenz schüttelte den Kopf. »Haben eigentlich alle außer mir immer nur Sex im Kopf? Und ich dachte, wir ermitteln hier in einem Mordfall und nehmen gleichzeitig noch an einer spannenden Ausgrabung teil. Konzentriert euch doch
Weitere Kostenlose Bücher