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Nach alter Sitte

Nach alter Sitte

Titel: Nach alter Sitte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Breuer
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leise: »Der alte Kommissar schien gerade von niemandem vermisst zu werden. Das deutete er als ein Zeichen, einmal allein seines Weges zu gehen.«
    Langsam schlenderte er vom Gelände, schlug den Weg in Richtung Waldrand ein. Am Grillplatz angelangt, suchte er nach Benny, fand ihn jedoch nicht, und wandte sich dann nach rechts, wo ein steiler Weg in den Wald hineinführte. Lorenz wusste, dass dieser Pfad ihn bis auf die Höhe des Odenbleuel führen würde, sofern er ihm lange genug folgen würde. Die starke Steigung zu Beginn wurde bald sanfter. Lorenz musste sich nicht auf den ihm altbekannten Weg konzentrieren und ließ seine Gedanken schweifen. Das satte Grün der Bäume ließ die Sonne nicht unter ihre dichten Wipfel dringen. Es war angenehm schattig und kühl. Er spazierte in gemütlichen, kleinen Schritten, die ihm wenig Kraft abverlangten. Es war nicht wichtig, welche Strecke er zurücklegen konnte, bis irgendetwas ihn zur Umkehr bewegen würde. Von unten drangen noch vereinzelte Rufe an sein Ohr. Doch bald wurden diese Geräusche geschluckt von der seltsamen Stille des Waldes, die eigentlich keine war. Als seine Ohren sich an die Umgebung gewöhnt hatten, vernahm er das Rascheln von Mäusen im Laub, manchmal auch das lautere Geraschel, wenn eine Amsel durchs Unterholz hüpfte, das Summen der Insekten, das Rauschen der Baumwipfel im Wind. Dann wieder ein Rascheln am Boden, sehr viel lauter als eben noch und ein Sirren in der Luft, als würde irgendetwas sehr schnell auf seinen Kopf zukommen. Dann krachte es an seinen Schädel. Bevor er sich darüber wundern konnte, knickten seine Beine ein, und er verlor das Bewusstsein. Benny betrachtete die satten Wiesen, die sich oberhalb des Odenbaches weithin erstreckten. Der Ort wirkte nun, im hellen Sonnenlicht, ganz anders als am Abend zuvor. Da hatte er aber dies alles nur als undeutlichen Hintergrund wahrgenommen. Vera hatte seine Sinne ganz und gar ausgefüllt, alles andere war nur Kulisse gewesen. Nun kam er sich selbst ein wenig wie der undankbare Teil einer Kulisse vor. Eine Randfigur in einem Mordfall, den er nicht verstand. Bislang hatte er das Verbrechen als spannendes Ereignis wahrgenommen, auch komisch manchmal, wenn Opa Bertold die Ermittlungen aufnahm. Nun war er so sehr mitten darin, dass es schmerzte. Benny wusste, dass ihn die Tatsache, dass er mit Vera kurz vor ihrem gewaltsamen Ende geschlafen hatte, auch in den Kreis der Verdächtigen hineinzog. Doch dies machte ihm keine Angst. Die Wahrheit würde schon ans Licht kommen. Jedoch bereitete ihm die Möglichkeit, der Mörder könnte sie gestern hier beobachtet haben, großes Unbehagen. Und er spürte einen schrecklichen Verlust, obwohl er das Mädchen noch gar nicht wirklich kennengelernt hatte. Vermutlich bildete er sich nur ein, dass sie eine wunderbare gemeinsame Zukunft gehabt hätten. Dass sie sich ernsthaft ineinander verliebt hätten, ihr Leben gemeinsam gestaltet und vielleicht sogar eine Familie gegründet hätten. Wahrscheinlich wäre es eher ein kurzer, heißer Sommer geworden, dann wäre sie an die Uni und zu ihren sonstigen Freunden und Lebensgewohnheiten zurückgekehrt. Aber dann wäre es eben so gewesen, sie hätten es in der Hand gehabt. Es wäre der normale Verlauf gewesen, aus den verschiedenen Möglichkeiten hätte sich eine realisiert. Nun hatte jemand anderes entschieden, dass es nicht weitergehen sollte. Nicht in diese Richtung und nicht in jene. Dieser Jemand hatte Veras Leben genommen und alle Möglichkeiten zunichtegemacht. Benny empfand dies als Störung des Weltenlaufs, ein gewaltsamer Einbruch in seinen eigenen persönlichen Ablauf der Dinge. So hatte es nicht sein sollen. Es stieg eine Wut in ihm auf, die sich bis zu diesem Moment noch irgendwo in seinem Innern versteckt hatte. Er hatte Lust, laut zu schreien, einfach alle Kraft seiner Lungen zusammenzunehmen und diese Wut herauszuschreien. Doch diese blumenübersäte Sommerwiese bat ihn um Stille. Und er blieb still. Und in diese Ruhe, die sich in ihm und um ihn herum ausbreitete, schien sich jetzt ein seltsames Geräusch einzuschleichen. Etwas, das er nicht bewusst wahrnehmen und erst recht nicht zuordnen konnte, aber es war ihm, als sei etwas geschehen.
    Benny ging am Waldrand endlang bis zu der Wegbiegung, an der der Grillplatz lag. Von hier konnte er auch in die Richtung des Waldes sehen, aus dem das Geräusch vermutlich gekommen war. Wenn er die Straße herab und auf die Grabungsstätte sah, konnte er die Stimmen der

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