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Nach alter Sitte

Nach alter Sitte

Titel: Nach alter Sitte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Breuer
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aber, dass der Raum nicht mehr als vier Meter in dieser Richtung maß. Dann wandte er sich zur Seite, um die nächste Wand zu erreichen. Auf diese stieß er sofort. Kein Regal, keine Bilder, keine Tapete. Er machte kehrt und durchmaß den Raum in der anderen Richtung. Lorenz stellte fest, dass er sich in einem völlig nackten, etwa quadratischen Raum befand. Als Nächstes musste er herausfinden, wo die Tür war. Er hockte sich einen Moment auf den Boden, weil die Kopfschmerzen wieder zu stark wurden. In diesem Moment ging das Licht an.
    Bärbel und Gustav schauten fassungslos auf den Gehstock, den Benny in seiner Hand hielt.
    »Um Gottes willen!«, rief Bärbel. »Was ist mit Lorenz geschehen?«
    »Keine Ahnung«, antwortete Benny. »Ich ging den Waldweg hoch, weil ich mir eingebildet hatte, dort etwas Seltsames gehört zu haben. Da war niemand, nichts zu sehen oder zu hören, und Opa Bertolds Stock lag allein am Wegesrand.«
    »Was hattest du denn Verdächtiges gehört?«, fragte Gustav.
    Benny schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht sagen. Ich war so in Gedanken, und dann hatte ich das Gefühl, dass da etwas gewesen wäre. Ich kann es nicht beschreiben. Irgendetwas habe ich vielleicht unbewusst gehört, aber was das war – ich weiß es wirklich nicht. Keinen Schimmer.«
    »Wie dumm, dass die Polizei nicht mehr vor Ort ist«, meinte Gustav.
    Bärbel zog ihr Telefon hervor. »Ich habe Rita Bertolds Nummer gespeichert. Rufen wir sie an.«
    »Gute Idee«, stimmte Benny zu. »Sie wird wissen, was zu tun ist.«
    Das Licht schmerzte in seinen Augen. Lorenz schloss die Lider und schirmte sie mit einer Hand ab. »Muss das denn sein?«, fragte er.
    Die Antwort kam prompt in Form einer seltsam anmutenden Lautsprecherstimme: »Ich denke, das muss sein. Offensichtlich war der Schlag auf den Kopf nicht zu heftig. Ich wusste nicht genau, wie fest man bei einem so alten Sack zuschlagen darf.«
    Die Stimme kam aus einem Gerät, das Lorenz nicht lokalisieren konnte, und war auf extrem verfremdet. Es war nicht einmal möglich, das Geschlecht des Sprechers zu bestimmen, jedoch ging Lorenz aufgrund der Wortwahl von einem Mann aus.
    Der Alte knurrte: »Was heißt hier zu heftig? Es war nicht hart genug, um mich zu töten, aber auch nicht leicht genug, dass ich jetzt nicht einen bitterbösen Brummschädel hätte. Was soll das?«
    Die Antwort ließ auf sich warten. Das gab Lorenz die Gelegenheit, seine Augen an die Helligkeit zu gewöhnen und sein Gefängnis zu betrachten. Der Raum war tatsächlich völlig kahl. Auffällig war das Fehlen sowohl von Fenstern als auch einer Tür. Doch da er irgendwie hier hereingekommen war, musste es auch eine Öffnung geben. Alles, was er sehen konnte, war eine nackte, mit weißer Farbe bekleckerte Glühbirne, so wie sie vielleicht Handwerker in Rohbauten benutzten. Dann entdeckte er endlich doch einen Lautsprecher und auch ein Gerät, das wie eine winzige Kamera aussah. Das bestätigte dann auch die Stimme: »Da glotzen Sie aber blöd. Richtig, Sie sehen in eine Webcam.«
    »Da haste jetzt Spaß dran, oder?«, brummte Lorenz.
    »Nicht wirklich«, plärrte die Antwort aus dem Lautsprecher. »Aber wenn ich will, stelle ich eine Live-Übertragung von Opa Bertold ins Internet. Mal schauen, wer das witzig findet.«
    »Was soll das?«, fragte Lorenz wieder. »Warum bin ich hier?«
    »Später«, sagte die Stimme und verstummte. Nichts weiter. Dann erlosch das Licht. Lorenz stand wieder im Dunkeln. Er ärgerte sich, dass er seinen Kidnapper nicht danach gefragt hatte, was er ihm gegeben hatte. Der widerliche Geschmack in seinem Mund wäre einfacher zu ertragen gewesen. Nach ein paar Sekunden merkte er, dass seine Beine zitterten. Er ließ sich auf dem Boden nieder, der sich sehr kalt anfühlte. Daher schob er sich auf die Hacken hoch, wie ein Kind, das im Sandkasten spielt, und hoffte, dass seine Beine diese Stellung eine Zeit lang aushalten würden. Das Zittern übertrug sich auf seinen ganzen Körper. Lorenz fragte sich, ob dies die Auswirkung der Gewalt war, die man ihm angetan hatte, die Kälte oder aber vielleicht auch einfach Angst. Er horchte in sich hinein und glaubte festzustellen, dass er keine Angst verspürte. War er jetzt in der Hand des Mörders? Und vor allem, war es derselbe Täter, der auch Gerda auf dem Gewissen hatte? Wenn das so war, und Lorenz zweifelte nicht daran, dann stand er kurz davor, die schmerzhafteste Lücke seines Lebens zu schließen. Wenn er dabei selbst sterben sollte –

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