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Nach alter Sitte

Nach alter Sitte

Titel: Nach alter Sitte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Breuer
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ist.«
    »Mach nur, ich schau dir gerne beim Malen zu«, sagte Lorenz und nahm auf einem Stuhl Platz. Er meinte dies auch genau so, wie er es gesagt hatte. Bärbel wirkte, während sie mit Pinsel und Spachtel an der Leinwand arbeitete, konzentriert und entspannt zugleich. Er betrachtete ihr Gesicht von der Seite und wunderte sich, wie wandelbar es war. Mädchenhaft oder fraulich, jeden Moment konnte es wechseln. Sicher, sie war siebzig Jahr alt und machte sich keine Mühe, dies zu verstecken. Das hatte sie aber auch nicht nötig, denn obwohl sie offensichtlich keine junge Frau mehr war, hatte sie dennoch eine Geschmeidigkeit und Anmut in ihren Bewegungen, die sie genauso bestimmt auch mit zwanzig oder dreißig gehabt hatte. Und ihre Lippen, die sie bei der konzentrierten Arbeit immer wieder unbewusst mit der Zunge befeuchtete, waren nicht die einer alten Frau. Lorenz kam sich neben Bärbel tatsächlich alt vor. Zu alt, um – ja, was eigentlich? Er schalt sich einen Narren, hierhergekommen zu sein. Angestrengt suchte er nach einem geeigneten Gesprächsthema. Doch wieder einmal zeigte sich, dass es für ihn in Bärbels Gegenwart keiner Anstrengung bedurfte, denn sie begann wie selbstverständlich das Gespräch: »Wie geht es dir denn jetzt, mein Lieber? Du musst doch völlig ausgelaugt sein nach alldem.«
    »Ja, das bin ich«, antwortete Lorenz wahrheitsgemäß, und es machte ihm nichts aus. »Diese schrecklichen Dinge, die jetzt passieren. Ich ertrage das nicht mehr.«
    Bärbel legte Pinsel und Farbpalette beiseite und trat zu ihm. Sie beugte sich zu ihm herunter, umarmte ihn und sagte: »Ich weiß. Das hat zu viel mit dir selbst zu tun, um es wie ein kriminelles Abenteuer behandeln zu können. Es ist diesmal alles anders, und das Verbrechen macht keinen Spaß, wenn man selbst betroffen ist, stimmt’s?«
    Lorenz schloss die Augen und genoss ihre vertrauliche Berührung. Er nickte stumm. Bärbel streichelte ihm über sein kurz geschorenes graues Haar und bettete seinen Kopf an ihre Brust. So hätte er selbst in der letzten grauenvollen Nacht gut einschlafen können, dachte er. In diesem Moment kam ihm jede zukünftige Minute seines Lebens, die er nicht so mit Bärbel verbringen würde, wie verschwendet vor. Einen kurzen Augenblick hatte er das Bedürfnis, ihr das auch zu sagen. Aber dann entschied er, dass dies irgendwie verfrüht und unpassend wäre. Es war eine Sache, eine solche Gefühlsregung zu haben, und eine ganz andere, sie zu offenbaren. Also begnügte er sich damit, ihre Hand, die nun an seiner Stirn lag, mit der seinen zu berühren und sie festzuhalten. So verharrten sie beide still eine Weile, bis ihm einfiel, dass er auf dem Stuhl saß, während Bärbels Haltung eher unbequem sein musste. Sie spürte, dass er sich lösen wollte, und richtete sich auf. »Was können wir jetzt tun?«, fragte sie, und er war ihr dankbar dafür.
    Er antwortete: »Ich denke, wir warten erst einmal ab und lassen die Polizei arbeiten. Ja, ich weiß, aber ich bin auch noch lernfähig. Ich hoffe, die arme Frau überlebt. Und vielleicht kann sie sogar den Täter identifizieren, wer weiß? Dann hat der Spuk ein Ende.«
    »Das wäre gut«, meinte Bärbel. »Meinst du, er hat diese Frau nur ausgesucht, weil sie Katharina heißt?«
    »Ein grauenvoller Gedanke. Überhaupt ist es widerwärtig, so etwas einem Menschen anzutun, aber wie krank müsste der Mörder sein, wenn er zu der Person keinerlei Beziehung hätte, nur weil ihm ihr Name gerade in den Kram passt?«
    Bärbel schüttelte sich. »Ich mag gar nicht daran denken. Und es ist immer noch unklar, was der Täter mit deiner Tochter zu tun hat und was er für eine Beziehung zu dir hat. Mir macht das wirklich Angst. Dir nicht auch?«
    »Doch«, sagte Lorenz und zwang sich, Bärbel dabei in die Augen zu sehen. »Ich habe sogar große Angst.«
    »Und wie können wir uns diese Angst nehmen?«
    Lorenz überlegte, wie sie diese Frage gemeint haben könnte. Er kam zu keinem wirklichen Ergebnis und antwortete: »Wahrscheinlich würde es mich beruhigen, noch mal alle Details, alle bekannten Fakten durchzugehen. Mein Schreibtisch und mein Computer sind voll von Notizen. Hilfst du mir?«
    »Gerne«, sagte Bärbel und legte ihren Kittel ab. »Ich wasche nur schnell die Pinsel aus.«
    »Aber ich wollte dich wirklich nicht beim Malen stören.«
    »Alter Quatschkopf«, sagte sie und lächelte. Lorenz beobachtete sie, wie sie die Farbtuben schloss, die Pinsel in Leinöl auswusch und in die dafür

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