Nach alter Sitte
vorgesehenen Halterungen zurückstellte. Sicher hatte sie dies schon viele tausend Male gemacht, und Lorenz war dankbar, ihr jetzt dabei zusehen zu dürfen. Das frische Öl und die Farben verbreiteten einen angenehmen Duft im Zimmer, der eigentlich immer dort war, aber nun noch viel intensiver wurde. Jetzt erst fiel Lorenz auf, dass dieser Duft auch immer in ganz schwacher Form an Bärbel haftete, und er liebte diesen Geruch an ihr.
Nachdem Bärbel sich die Hände gewaschen hatte, gingen sie hinüber in sein Appartement. Das gefälschte Lochner-Bild stand verhüllt mit einem Leinentuch in der Ecke. Bärbel vermutete, dass Lorenz es einfach nicht mehr ansehen mochte, sagte aber nichts dazu. Auf dem Schreibtisch stapelten sich Papiere, Ausdrucke, alte wie neue Notizen und Zeitungsausschnitte über- und nebeneinander. Der Computer brummte leise.
»So, wo fangen wir an?«, fragte Lorenz. »Bei Gerda? Ambiorix? Beim toten Naas oder seinem verrückten Sohn? Die tote Studentin im Schandkorb oder die geräderte Katharina?«
Bärbel schüttelte den Kopf. »Das ist alles so schrecklich. Vielleicht sollten wir doch einfach die Polizei ihre Arbeit machen lassen und mal ausspannen. Wieso nicht einfach ein wenig im Wald spazieren gehen? Vielleicht der Felsenrundgang? Zum Hindenburger Tor? Einmal zum Effels und zurück?«
»Vielleicht hast du recht.« Lorenz war unschlüssig. »Ich habe nur ständig das Gefühl, die Lösung liegt hier vor mir auf dem Tisch, und ich sehe sie einfach nicht. Wo ist die Verbindung zwischen all diesen Dingen? Da muss es doch jemanden geben, der zu allem eine Beziehung hat.«
»Und wenn es gar nicht nur ein Mörder ist? Wenn es mehrere Personen sind?«, fragte Bärbel. »Kann das nicht sein?«
»Natürlich kann auch das sein. Alles ist möglich, solange wir nichts wirklich sicher ausschließen können.«
Der Computer gab ein Klingelzeichen von sich und deutete damit den Eingang einer Email an. Lorenz griff sofort zur Maus und klickte den Eingangskorb an. »Da!«, rief er erregt aus.
Sie starrten beide auf den Text der Nachricht, die auf dem Bildschirm angezeigt wurde:
Der Narr – er bleibet doch genarrt
Zerschmettert wird des letzten Heiligen Gebein
Des Vaters Herz zu Fels erstarrt
Das soll es dann auch für mich gewesen sein .
Bärbel wurde blass und suchte nach Lorenz’ Hand. »Was ist das jetzt schon wieder für eine Grausamkeit?«
»Ich weiß nicht«, antwortete Lorenz, während sein Verstand bereits fieberhaft den Sinn in diesen Zeilen zu greifen versuchte. Dann murmelte er leise: »Der alte Ermittler wusste, er war niemals so sehr in einen Fall verstrickt gewesen wie diesmal, und er war auch noch niemals so hilflos gewesen. Aber eines war ihm klar: Es würde sehr bald schon wieder einen entsetzlichen Mord geben, wenn er es nicht verhindern konnte. Der Alte musste sofort alle Freunde zusammenrufen.«
28. Kapitel
Er hatte gehofft, Zuversicht und Stärke zu gewinnen, wenn alle in seinem Zimmer versammelt sein würden. Doch er hatte sich getäuscht. Lorenz wusste auch nicht, was genau er von den anderen erwartet hatte. Aber er war froh, dass neben Bärbel und Benny auch Gustav gekommen war. Er hoffte, der Freund würde das Gespräch beginnen. Doch diesen Gefallen schien er ihm nicht tun zu wollen. Erst als Rita und Paul eintrafen, wurde die Runde lebendiger, so als wenn die Hobbyermittler auf den Beistand der Profis gewartet hätten. Rita berichtete: »Ich habe eben noch mit Ella Kock im Krankenhaus gesprochen. Die Frau ist wegen ihrer vielen schweren Verletzungen ins Koma versetzt worden, aber stabil. Sie wird es wohl schaffen. Aber für eine Aussage steht sie leider noch für einige Zeit nicht zur Verfügung. Und wenn ich dich richtig verstanden habe, ist Zeit etwas, das wir nicht haben.«
»Leider«, erwiderte Lorenz. »Der Mörder hat mir eine weitere Nachricht zukommen lassen.« Er reichte Rita einen Zettel, auf dem er die Email ausgedruckt hatte. Rita las den Text und gab ihn an Paul weiter.
»Das sieht so aus, als eskaliere das Ganze jetzt. Der Täter hat psychisch das Ende der Fahnenstange erreicht, wie mir scheint. Nach Katharina jetzt ein weiterer Heiliger als Vorbild für eine Tat.«
»Wer ist denn diese geräderte Frau?«, fragte Bärbel. »Wurde sie nur wegen ihres Namens so zugerichtet? Das mag ich mir nicht vorstellen, ebenso wenig wie bei der armen Vera Distel.«
Rita erklärte: »Die Frau ist Dr. Katharina Erkens, sie arbeitet als Archäologin für den
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