Nach dem Amok
wenn man ein falsches Passwort eingibt. David hatte sein Passwort mal vergessen und dann ewig rumprobiert. Ich beiÃe auf meinen Lippen herum, während ich angestrengt überlege. Ich versuche es nacheinander mit verschiedenen Kombinationen aus seinem Geburtstag, seinen Lieblingsfilmen, sofern ich sie kenne, den Namen von allen möglichen Leuten, die er gekannt hat. Nach einer halben Stunde gestehe ich mir ein, dass ich so nicht weiterkomme.
Mein Blick fällt auf Davids Pinnwand. Daran hat er einige Fotos von militärischen Flugzeugen geheftet, sie sehen bedrohlich aus. Früher hingen dort Bilder von Segelflugzeugen. Was war ihm wichtig genug, um als sein Passwort herzuhalten? Der Name eines dieser monströsen Dinger vielleicht? Doch selbst wenn ich dieses entscheidende Puzzlestück fände, könnte er das entsprechende Wort noch mit einer Ergänzung versehen haben, mit einer oder mehreren Ziffern zum Beispiel, und dann hätte ich nie im Leben eine Chance, auf die richtige Lösung zu kommen.
Ich entscheide mich deshalb, nicht nach der Basis für das Passwort, sondern nach dem Passwort selbst zu suchen. Jetzt, wo ich weiÃ, wonach ich suche, kann ich systematischer vorgehen als beim letzten Mal, als ich in seinem Zimmer war, um nach Anhaltspunkten für sein Verhalten zu forschen. Ein Passwort ist immerhin ziemlich leicht als solches erkennbar, man muss es nur finden. Und wer einmal Ãrger hatte, weil er sein Passwort vergessen hat, der schreibt es sich danach immer irgendwo auf. Ich jedenfalls würde das tun.
Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass ich nicht mehr allzu lange allein zu Hause sein werde. Wo würde ich ein Passwort aufbewahren, das von keinem Unbefugten gefunden werden soll? Ich durchwühle die Zettelwirtschaft auf Davids Schreibtisch, doch mir fällt nichts in die Hände, was nach einem Passwort aussieht. Auch in seinen Heften finde ich nur Kritzeleien. In einem ist eine Zielscheibe auf das Löschblatt gemalt. Ich lege das Heft weg, stopfe es ganz weit nach unten in seinen Rucksack.
SchlieÃlich erinnere ich mich, dass David, als er dreizehn war, mal einen Liebesbrief unter dem Fuà der Schreibtischlampe versteckt hat. Obwohl die Chance lächerlich gering ist, dass er deshalb später andere wichtige Dinge dort aufbewahrt hat, hebe ich die Lampe an. An der Stelle, wo sie gestanden hat, bleibt ein staubloser Kreis auf der ansonsten etwas angegrauten Schreibtischoberfläche zurück. Mama wird hier bestimmt nie wieder durchwischen, alles muss ja so bleiben, wie es war. Das Zimmer wird nur sehr langsam zustauben, weil sich selten jemand darin aufhält, aber es wird mit der Zeit trotzdem unaufhaltsam staubiger werden. Fingerdicker Staub, irgendwann. Ich werde ausgezogen sein, bevor es so weit ist.
Als ich die Lampe wieder hinstellen will, bemerke ich den kleinen Zettel, der unter den Fuà geklebt ist. Das Wort darauf. Safariheld3769 , steht da. Der Safariheld. Eine Wortschöpfung, die entstanden ist, als David und ich zufällig in eine Fernsehsendung über einen Safariunternehmer reinzappten. Der Typ, der dort nach Crocodile-Hunter-Manier durchs spärlich vorhandene Gestrüpp kraxelte und sich an Löwen und Büffel ranpirschte, machte einen dermaÃen dämlichen Eindruck, dass wir in Gelächter ausgebrochen sind und ich nach Luft schnappend gerufen habe: Guck dir den Safarihelden an! Wir haben darüber noch tagelang immer wieder lachen müssen. Keine Frage, der Safariheld3769 muss ein Passwort sein. Hoffentlich ein aktuelles, und hoffentlich das für seinen Laptop.
Ich merke mir die Ziffern hinter dem Wort und verschwinde mit dem Laptop unterm Arm in meinem Zimmer. Ein Schlüssel dreht sich im Schloss der Wohnungstür, ich bin nicht mehr allein.
Als wir den Laptop zurückbekamen, hat Papa ihn kommentarlos in Davids Zimmer gestellt, ihn einfach in eine freie Stelle im Bücherregal geschoben. Ich bin mir nicht sicher, ob Mama überhaupt weiÃ, dass er wieder da ist. Wahrscheinlich wird es gar nicht auffallen, wenn ich ihn für eine Weile bei mir im Zimmer behalte.
Ich schlieÃe meine Tür ab, obwohl Mama darauf immer allergisch reagiert und mehrfach gedroht hat, mir den Schlüssel wegzunehmen. Seit sie vor einigen Jahren etliche leere und volle Kekspackungen und jede Menge Schokolade unter meinem Bett gefunden hat, die ich mir von meinem Taschengeld gekauft hatte, glaubt sie, nicht nur mein
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