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Nach dem Amok

Titel: Nach dem Amok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myriam Keil
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eine bestätigung zu haben für das, was man tut. gestern hat n. sich in der pause neben mich gestellt und gesagt: morgen ist zahltag. da hab ich mich entschieden. jetzt, wo ich weiß, dass der ganze mist bald vorbei ist, geht es mir besser. selbst die prügel heute hab ich eingesteckt, ohne mit der wimper zu zucken. bald ist zahltag. aber anders, als ihr denkt.
    Â»Maike?«, höre ich Mama rufen, und dann steht sie auch schon in meinem Zimmer.
    Â»Machst du Hausaufgaben?«, fragt sie, weil ich wohl angestrengt aussehen muss. »Am Samstag?«
    Ich nicke. Sie bemerkt nicht, dass ich nicht an meinem eigenen Laptop sitze, die Geräte von David und mir sehen sich ziemlich ähnlich, und sie hat sich noch nie wirklich mit so etwas beschäftigt. Zum Glück ist mein eigener Laptop nicht zu sehen, ein Schulbuch und ein paar beschriebene Blätter liegen darauf.
    Â»Wir essen in zehn Minuten.«
    Ich schaue auf die Uhr und erschrecke. Schon seit beinahe drei Stunden sitze ich vor dem Laptop.
    Â»Ist gut«, antworte ich.
    Sie lächelt erschöpft, ein bisschen bemüht. Denkt sie, sie müsste sich für mich diese Mühe geben? Oder tut sie es, weil dieses falsche Lächeln ihr selbst das Gefühl gibt, dass alles, was Tag für Tag funktionieren muss, nach wie vor in geordneten Bahnen verläuft, und dass sie noch die Kontrolle darüber besitzt?
    Â»Dann bis gleich«, sagt sie.
    Nachdem sie wieder weg ist, lese ich noch ein bisschen in den letzten Blogeinträgen. Irgendetwas an ihnen hält mich gefangen, weniger der Inhalt als vielmehr der Klang der Sätze, die gedanklichen Abfolgen. Und dann lese ich den folgenden Eintrag:
    ich versuche, nicht aufzufallen. meine schwester scheint zu ahnen, dass etwas nicht stimmt, sie schaut mich manchmal so an, als wüsste sie alles, aber ich glaube, sie weiß nichts, sie spürt nur etwas unterschwelliges oder so. sie hat ein paar von den blauen flecken gesehen und gefragt, wo ich sie herhabe. ich hab gesagt, ich hätte mich bei der blöden turnerei in der schule am barren gestoßen, sie weiß, dass ich leichtathletik viel lieber mag als geräteturnen. wir haben uns mal gut verstanden. aber jetzt kann ich nicht mehr mit ihr reden. dieser ganze dreck. ich wache morgens auf und denke nur an den nächsten abend.
    Mein Herz pocht laut von innen gegen den Hals. Ich denke an den Tag, an dem ich ihm diese Frage gestellt habe, an dem ich diese Antwort bekommen und mich mit ihr zufriedengegeben habe. Das ist nicht irgendein Blog, der David interessiert hat. Das ist sein Blog.
    Ich klicke auf den ersten Monat, in dem Einträge verfasst wurden. Februar des vergangenen Jahres. Ich scrolle nach unten bis zum allerersten Eintrag. Ich fange ganz von vorne an.

14
    Schon seit einer ganzen Weile folge ich ihnen. Sie gehen nicht auf direktem Weg nach Hause, sondern bummeln kreuz und quer durch die Fußgängerzone. Bereits auf dem Schulhof habe ich mich heute in den Pausen in ihrer Nähe herumgedrückt, um ihre Gespräche zu belauschen, aber sie haben nur über Mädchen, die sie gut finden, und Lehrer, die sie blöd finden, geredet.
    ich hab nein gesagt. ich bin heute ohne geld in die schule gegangen, da haben sie mir meine jacke abgenommen. f. und t. haben mich festgehalten und n. hat mir das knie in den bauch gerammt. sie schlagen nie ins gesicht, weil man es dort sieht.
    Farin, Tobias und Norman aus der Elften. Es gibt viele, die ihnen aus dem Weg gehen, vorsichtshalber. Man konnte ihnen nie etwas nachweisen, aber sie sollen jüngere Schüler verprügeln. Norman, Farin und Tobias. David hat zwei von ihnen angeschossen, das kann doch kein Zufall sein, er hatte sie im Visier, speziell sie, vor allen anderen. Vielleicht hat Tobias irgendeine hilflose Klassenkameradin vor sich gezerrt und ist nur deshalb verschont worden. Und auch die beiden anderen sind jetzt schon wieder gesund, obwohl sie es nicht verdient haben.
    Ich folge ihnen ins Kaufhaus. Sie fahren mit der Rolltreppe nach oben, bei den Computerspielen im zweiten Stock machen sie halt.
    f. und t. haben mich festgehalten und n. hat mir das knie in den bauch gerammt.
    Ich kann mir nicht vorstellen, wen David sonst mit diesen Abkürzungen gemeint haben könnte. Ich habe ihn allerdings nie mit einem von den dreien gesehen. Warum hat er ihre Namen nicht ausgeschrieben? Dann könnte ich … es ihnen heimzahlen. Mir ist plötzlich schwindelig. Was

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