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Nach dem Amok

Titel: Nach dem Amok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myriam Keil
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inzwischen vollständig gelesen, fast das gesamte Wochenende war ich damit beschäftigt, aber ich konnte so manches gar nicht richtig aufnehmen, es war einfach zu viel, ich habe irgendwann nur noch gezittert. Jetzt, wo es mir wieder besser geht, fühle ich mich verpflichtet, mir die Einträge erneut anzusehen. Ich muss noch mehr verstehen. Noch mehr herausfinden. Ich habe es David versprochen.
    ich werde euch nicht sagen, wie sie heißt. ein paar schulfreunde haben gemerkt, dass ich sie mag. im camp bin ich tatsächlich mit ihr ins gespräch gekommen. dann haben sich die idioten von hinten an mich rangeschlichen und mir die jogginghose runtergezogen. ich stand mit runtergelassenen hosen vor ihr! in total bescheuerten boxershorts! da waren flugzeuge drauf! ja, lacht nur. das ist echt nicht so komisch, wie es sich anhört. ich war dann auch noch so blöd, ein gedicht für sie zu schreiben, also, über sie, mit ihrem namen, und dann war ich so dämlich, es nicht gut genug zu verstecken, und jemand hat es gefunden und ihr alles brühwarm gesteckt. der rest der zeit im camp war die hölle. wenn sie gelästert haben, hab ich alles geleugnet und gespürt, dass ich dabei knallrot werde. das schlimmste war aber sie: ihre reaktion, dieses verlegene, mitleidige lächeln. sie war nicht gemein, damit wäre ich noch irgendwie klargekommen. nein, sie hatte mitleid mit mir!
    David war im vergangenen Sommer aus diesem Feriencamp zurückgekommen, ernst und traurig hatte er gewirkt (erwachsen, hat Papa gesagt), aber auch diese Veränderung an ihm hat mich nicht dazu gebracht, mehr als einmal nachzuhaken. War’s denn nicht schön?, habe ich gefragt. Doch, ganz nett, hat er geantwortet, ich bin aber wohl gegen irgendwelche Pollen allergisch, dadurch war’s etwas nervig. Es klang nachvollziehbar. Alles ließ sich so einfach erklären. Eine etwas missmutige Rückkehr aus dem Feriencamp, ein paar blaue Flecken auf seinem Rücken und welchen weiteren Ereignissen auch immer ich darüber hinaus keine Bedeutung beigemessen habe.
    wisst ihr, was passiert, wenn auch nur ein einziger tropfen lampenöl in eure lunge gelangt? ich wusste zuerst gar nicht, was sie jetzt wieder vorhatten, als n. mit der öllampe vor meinem gesicht rumgefuchtelt hat. saug mal dran, hat t. gerufen, nimm mal nen ordentlichen schluck. sie haben mir den docht an den mund gehalten und ich hab die lippen zusammengepresst. zu hause hab ich gegoogelt und gelesen, dass das zeug, auch wenn man es bloß schluckt und nicht absichtlich einatmet, in die lunge kriecht und schwere entzündungen verursacht, im extremfall kann die lunge sogar kollabieren. ich schätze, das wussten die auch. seither frage ich mich, wie weit sie gehen würden.
    Am liebsten würde ich losheulen. Ich denke an die Duftöllampe auf dem Klavier im Wohnzimmer. Sie steht dort, solange ich denken kann, mit dem hellgrün eingefärbten Paraffin, dessen Farbe ich immer besonders gern mochte. Wie hat David es nach jenem Vorfall ertragen, diese Lampe Tag für Tag anzusehen?
    Ich rufe Jannik an, weil ich es nicht mehr schaffe, das alles noch länger für mich zu behalten. Ich erzähle ihm von Davids Blog und von meinem Verdacht gegen die drei Jungs.
    Â»Findest du das nicht ziemlich weit hergeholt?«, meint Jannik.
    Â»Es könnte aber doch stimmen.«
    Â»Ich halte es nicht für gut, dass du diesen Blog liest. Das belastet dich nur und führt zu nichts.«
    Â»Du verstehst das nicht. Ich bin es David schuldig!«
    Â»Was bist du? Es ihm schuldig? Hast du sie noch alle? Du bist diesem Verrückten überhaupt nichts schuldig!«
    Â»Ich habe nicht gemerkt, dass er gelitten hat. Und jetzt muss ich rausfinden, was geschehen ist. Was ihn dazu gebracht hat. Ich habe es ihm versprochen.«
    Â»Du hast es ihm versprochen?«
    Â»In meinem Brief an ihn.«
    Jannik seufzt. Durch die Leitung klingt es wie ein Fauchen, der Luftstoß so dicht am Hörer.
    Â»Du hältst mich für bescheuert«, sage ich.
    Â»Nein. Aber ich halte es nicht mehr aus, wie du dich quälst. Das macht dich kaputt, und mich auch.«
    Â»Ich dachte, du würdest verstehen, warum ich nachforschen muss.«
    Â»Ich verstehe, warum du glaubst , das tun zu müssen. Du musst es aber nicht.«
    Plötzlich merke ich, wie mir Tränen übers Gesicht laufen. Es lässt sich nicht aufhalten und passiert zuerst ganz still, ohne

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