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Nach dem Amok

Titel: Nach dem Amok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myriam Keil
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Widerspruch duldet.
    Provozierend langsam krame ich in meinen Schulsachen herum. Aber Zeit zu schinden, wird nichts nützen. Er trommelt mit den Fingern auf den Türrahmen. Ich suche gezielt die Vier minus in Geschichte heraus. Das ist noch eine meiner besseren Noten. Dabei denke ich an Jannik. An seine Umarmungen. Früher, als er es noch schön fand, mich zu umarmen.
    Â»In Geschichte standest du doch sonst immer zwischen Zwei und Drei«, sagt Mama.
    Sie hat sich auf die Zehenspitzen gestellt und beäugt über Papas rechte Schulter hinweg die Vier minus.
    Â»Man kann ja wohl mal einen Test ein bisschen verhauen«, verteidige ich mich.
    Â»Und jetzt den Rest«, fordert mein Vater.
    Â»Welchen Rest?«
    Â»Du kannst mir nicht erzählen, dass das alles war. Wenn du uns nur einen einzigen Test präsentierst, und auf dem steht eine Vier minus, dann gibt es mit Sicherheit noch weitere, und die dürften sogar noch schlechter ausgefallen sein.«
    Â»Du bist gemein!«
    Mir wird schwindelig, ich bekomme kaum noch Luft. Ich will nur raus aus meinem Zimmer, möglichst weit weg von hier, möglichst weit weg von meinen Eltern. Ich laufe auf ihn zu, will an ihm vorbei, doch er macht sich in der Zimmertür breit und versperrt mir den Weg.
    Â»Lass mich durch!«
    Â»Das könnte dir so passen! Ich bewege mich keinen Zentimeter von hier weg, solange du uns nicht alle Noten aus den letzten Wochen gezeigt hast!«
    Â»Du willst sie sehen? Kannst du haben!«
    Ich laufe wieder zurück, hole nun alles aus den Heften und Büchern hervor, was ich die ganze Zeit vor ihnen verborgen habe, und werfe es ihm vor die Füße. Fünf, Fünf plus, Fünf, und noch eine weitere Vier minus.
    Â»Werdet doch glücklich damit!«
    Â»Heb das sofort auf, Maike!«
    Â»Du kannst mich mal!«
    Ich schubse ihn mit all meiner Kraft zur Seite. Er macht einen Schritt zurück, stößt dabei gegen meine Mutter, die einen Schmerzenslaut ausstößt. Ich glaube, er ist ihr auf den Fuß getreten.
    Ich rase ins Bad und schließe mich dort ein. Beide lauern vor der Tür. Als Kind hatte ich mich mal nach einem Streit hier eingeschlossen und weigerte mich stundenlang herauszukommen. Ich hatte Zugang zu Wasser und wusste, dass man wochenlang ohne Essen überleben kann. Und Wochen waren damals noch die Ewigkeit. Das Badezimmer schien der perfekte Ort zu sein, um sich nie wieder irgendetwas stellen zu müssen. David war es damals, dem es gelang, mich wieder aus dem Bad herauszulocken.
    Es rüttelt an der Türklinke.
    Â»Komm raus, Maike!«
    Â»Willst du ewig da drin bleiben?«
    Ja. Ewig.
    Â»Rede gefälligst mit mir!«, verlangt er.
    Â»Lass sie doch, wenn sie so stur ist. Soll sie im Bad hocken, bis sie schwarz wird.«
    Â»Das wird ein Nachspiel haben!«
    Das größte Problem im Badezimmer ist die Langeweile, die einen dort auf Dauer überfällt. Man muss sich ständig gedanklich mit etwas beschäftigen, weil ansonsten kaum Beschäftigungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Ich entscheide mich für das Sammeln typischer Elternworte. Nachspiel . Gefälligst . Das lenkt mich von meinem Gefühl der Hilflosigkeit ab.
    Â»Was haben wir nur falsch gemacht, Achim?«, jammert es vor der Tür.
    Â»Wir haben gar nichts falsch gemacht, Beate. Du weißt, warum alles den Bach runtergeht.«
    Â»Aber wir können doch nicht David für alles die Schuld geben.«
    Â»Ich will diesen Namen nicht mehr hören!«
    Jetzt streiten sie vor der Badezimmertür und scheinen mich völlig vergessen zu haben. Erst nach einer Weile erinnern sie sich an mich. Da war doch was. Ach ja, wir haben eine Tochter, und die hat sich im Bad verbarrikadiert.
    Â»Maike? Mach jetzt die Tür auf!«
    Â»Nein!«
    Â»Aha, sprichst du also wieder mit uns.«
    Â»Ich ziehe zu Kim!«, eröffne ich der Tür mit den Stimmen dahinter. »Dort bin ich wenigstens willkommen! Euch wäre es doch lieber, wenn es mich gar nicht gäbe!«
    Â»Ach, Maike, das ist doch Unsinn! Komm endlich da raus!«
    Nach einer Weile verlegen sie sich vom Schimpfen aufs Betteln. Die Supernanny würde entsetzt den Kopf schütteln über so viel erzieherische Unfähigkeit.
    Â»Wir sind auch nicht mehr böse wegen der schlechten Noten«, säuselt Papa.
    Aber ich kenne seine Stimme. Ich weiß, wie sie sich anhört, wenn er kurz vorm Platzen ist und sich

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