Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)
kam auf ihn zu. Das Handy müsse sich hier in einem ziemlich klar umrissenen Areal befinden. Das Gebiet werde gerade in viele kleine Quadrate eingeteilt, dann ginge es mit der Suche los. Stecknadel im Heuhaufen? Nee, nee, die Aussichten, das Ding zu finden, seien schon wesentlich größer.
Ein Wagen mit einem Lichtmast fuhr auf, aber das Gelände war einfach nicht richtig auszuleuchten. Eine düstere Dämmerung lag über dem Schnee und hellte sich nicht auf. Die Landschaft war eine monochrome graue Fläche ohne Konturen.
Hier beginnt die asiatische Steppe, das war Bernhardts Eindruck. Wer sich weit genug entfernte, wurde von dem Grau verschluckt und ging in ihm auf. Bernhardt meinte, noch ein leichtes Zittern der Energie zu spüren, die der Verschwundene ausstrahlte. Er stellte sich eine große Leinwand vor, auf der ein Maler das Unmögliche versucht hatte: das Unsichtbare sichtbar zu machen. Nichts war zu sehen auf diesem Bild, und doch konnte es für den Betrachter keinen Zweifel geben, dass sich im Grau des Bildes Menschen bewegten.
Cornelia, die mit Krebitz inzwischen eingetroffen war, entdeckte als Erste die breite Reifenspur, die sich in einem weiten Bogen über das schneebedeckte Feld zog und sich in der Ferne verlor. Nachdem der Polizeifotograf das Reifenprofil ausführlich abfotografiert hatte, folgten Bernhardt und sein Brandenburger Kollege mit großem Seitenabstand der Spur, in ihrem Gefolge die jeweiligen Mitarbeiter.
In der Ferne ragte ein riesiges Windrad auf. Die Rotorblätter standen still. Sie näherten sich langsam und starrten verblüfft auf ein Schild: »Stehenbleiben. Lebensgefahr durch Eissturz!« Bernhardt lachte.
»Ich sehe schon die B.-Z.- Schlagzeile vor mir: ›Berliner Kommissar Opfer der Energiewende!‹ Autorin: Sina Kotteder.«
Der Brandenburger Kollege zögerte und machte ein ernstes Gesicht.
»Ich würde da nicht spaßen. Die stellen die Dinger immer ab, wenn starker Frost herrscht. Da bilden sich an den Rotorblättern riesige Eisklumpen. Und wenn so ’n Brocken runtersegelt… finito.«
Jetzt war Bernhardt in seinem Element. »Ist ja klasse. Je kälter es wird, desto weniger arbeiten diese Monster? Desto weniger Strom gibt’s von denen? Ich lach mir ’n Ast. Na gut, jetzt keine Diskussionen. Los weiter!«
Alle zogen den Hals ein und marschierten auf den riesigen Betonpfahl zu. Keiner sagte noch etwas. Vielleicht auch aus Verblüffung. Denn die Reifenspur führte direkt auf die Eingangstür des Ungetüms zu. Offensichtlich hatte das Auto dann zurückgesetzt, das Windrad umrundet und war Richtung Bundesstraße weitergefahren. Eine Schleifspur führte zum Eingang. Die Tür stand halb offen.
Lob der Routine – Bernhardt gab Direktiven: Autokontrollen, scharfe Beobachtung von Geländewagen, Pick-ups etc., besonders an der polnischen Grenze, den Betreiber des Windrads ausfindig machen, der gefälligst so schnell wie möglich einen Spezialisten schicken sollte.
Bernhardt zückte seine Waffe und schob sich vorsichtig ins Innere. Er registrierte, dass es in diesem Elektrospargel einen Aufzug gab, einen schmalen Korb, in den gerade mal zwei Personen passten, aber der war offensichtlich außer Betrieb gesetzt worden. Ein wirrer Kabelsalat hing aus einem Schaltkasten, die Elektrik war zerstört. Neben dem Korb führte eine schmale Leiter senkrecht in die Höhe. Von Groß nichts zu sehen. War er nach oben verfrachtet worden? Und wenn ja, wie gelangte man zu ihm, wie holte man ihn runter?
Bei Bernhardt und seinem Brandenburger Kollegen funktionierten die Reflexe. Notarzt anfordern und: die Notfallnummer der Feuerwehr wählen, die an der Seitenwand in großen Ziffern angeschlagen war. Schon nach dem ersten Rufzeichen meldete sich jemand. Ein Mann sei eventuell oben auf einem Windrad und der Fahrstuhl nicht einsatzfähig? Okay, dann würde der Höhenrettungstrupp kommen, in fünfzehn, spätestens zwanzig Minuten seien die da.
Bernhardt und der Brandenburger schauten sich an. Fünfzehn, zwanzig Minuten, vielleicht auch dreißig Minuten? Sie waren zu lange in ihrem Beruf, sie hatten es einfach verlernt zu warten. Bernhardt legte dem Kollegen die Hand auf die Schulter. »Meinst du, wir schaffen das?«
»Mann, das Ding ist hundert Meter hoch. Und die Höhenretter müssen über die Leiter, wir würden die doch blockieren. Und ich bin nicht mehr zwanzig.«
»Ich auch nicht. Lass uns zehn Meter nach oben klettern. Mal sehen, ob das funktioniert.«
Sie stiegen auf die Leiter, die in
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