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Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)

Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)

Titel: Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus-Ulrich Bielefeld , Petra Hartlieb
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normal. Und?«
    »Ob der Zug vor dem Tod oder nachher über ihren Hals gerattert ist, kann ich dir noch nicht sagen, da muss ich noch ein paar Untersuchungen machen. Ich hab allerdings etwas Seltsames gefunden.«
    »Und das wäre?«
    »Also, schau mal.« Er nahm den Körper der Frau und drehte ihn auf den Bauch. »Schau mal. Siehst du diese Streifen?«
    »Ja. Was ist das?«
    »Schläge. Eine Peitsche, würde ich sagen.«
    »Kann das nicht eine Abschürfung von den Schienen oder den Steinen sein?«
    »Welche Steine? Da lag doch zentimeterhoch Schnee. Nein, nein, diese Verletzungen wurden ihr definitiv vor ihrem Tod zugefügt, und zwar wenige Stunden davor. Ich habe aber noch etwas.«
    »Was denn?«
    »Schau dir mal ihre Hände an.« Er hob ihre linke Hand, und Anna betrachtete die schmalen weißen Finger. »Die sind so verdreht.«
    »Gut beobachtet, Frau Kollegin. Sie sind nämlich gebrochen. Und zwar jedes einzelne Knöchelchen. Schau, ich hab schon ein Röntgenbild gemacht.« Selbst ein medizinischer Laie wie Anna konnte auf den ersten Blick erkennen, dass die Handwurzelknochen und auch mehrere der Finger gebrochen oder stark gequetscht waren. »Mein Gott, was ist das denn? Aber wenn da der Zug drübergefahren wäre, dann sähe das doch anders aus.«
    »Ganz anders.« Dr.   Schima nickte heftig. »Nein, nein, auch das ist vor ihrem Tod passiert.«
    »Könnte sie gestürzt sein, als sie die Treppe runterging?«
    »Nein, das schließ ich aus. Dazu sind die Verletzungen viel zu gleichmäßig. Da hat jemand draufgehauen. Mit einem Hammer oder einem anderen schweren Gegenstand.«
    »Sehr seltsam.« Anna ging einmal um den Tisch und betrachtete nachdenklich den Leichnam. »Wir müssen unbedingt herausfinden, wer sie ist. Sind ihre Kleidungsstücke schon im Labor?«
    »Ja, aber heute erfährst du da nichts mehr. Ich glaube, wir machen Feierabend. Die Dame läuft uns nicht davon. Möchtest du den Kopf noch einmal sehen?«
    »Nein, nein, danke. Mir reicht’s dann auch. Vielleicht meldet sich ja bis morgen früh jemand, dem sie abgeht.«
    »Was machst du denn heute noch? Ich hab gehört, du hättest eigentlich Urlaub gehabt diese Woche.«
    »Ja, aber was soll’s. Kolonja liegt in irgendeinem Provinzspital und quält da die Krankenschwestern. Und Florian ist zum ersten Mal allein im Urlaub – nein, nicht allein, mit Freundin.«
    »Magst du zu uns zum Essen kommen? Meine Frau würde sich freuen.«
    Die Schimas wohnten nicht weit von Anna am Schafberg, und Alexandra Schima war bekannt für ihre Kochkünste.
    »Warum eigentlich nicht? Aber musst du sie nicht erst fragen?«
    »Nein, nein. Sie wollte heute kochen und sagt schon seit Monaten, dass du mal wieder zu uns kommen sollst.«
    Anna sehnte sich plötzlich nach einer warmen Mahlzeit und einem Glas Wein, und auch der nächtliche Spaziergang vom Schafberg runter in die Währinger Straße würde ihr guttun. Schima versenkte die Liege mit dem Leichnam in der Wand, schaltete das Licht aus, und bevor er sachte die Tür zuzog, murmelte er ein »Gute Nacht«.
    Im Haus der Schimas war es warm und gemütlich. Alexandra schien sich über den unerwarteten Besuch ehrlich zu freuen und stellte einfach einen Teller mehr auf den schön gedeckten Esstisch. Anna stellte sich vor das Feuer, das im kleinen Schwedenofen vor sich hin flackerte, und spürte kurz ein Gefühl von Neid in sich aufflackern. Wie schön musste es sein, auch nach so vielen Jahren des Zusammenlebens immer noch einfach so miteinander zu Abend zu essen.
    Der Pathologe drückte ihr ein Glas Rotwein in die Hand und stellte sich neben sie. »Prost. Schön, dass du da bist!«
    »Ja, ich freu mich auch.« Sie nahm einen großen Schluck, schwenkte das Glas. »Sag mal, wie hältst du das eigentlich aus?«
    »Was meinst du?«
    »Na, tagtäglich diese toten Menschen um dich.«
    »Da fragt die Richtige. Deine Klienten sind ja meist auch nicht lebendig.«
    »Schon, aber ich hab wenigstens auch mal mit Nichttoten zu tun.«
    »Das sind dann aber meistens Schwerverbrecher. Nein, nein, ich liebe meinen Beruf. Die Ruhe, die Abgeschiedenheit. Und kein Fall ist wie der andere. Kaum Routine.«
    »Aber so etwas wie heute – ich meine, eine Frau ohne Kopf –, das ist doch heftig!«
    »Weißt du, ich glaube, für dich ist das ärger als für mich. Du denkst über die Person als Lebende nach, darüber, wie sie in diese Situation kam. Du lernst ihre Angehörigen kennen, ihren ganzen Background. Ich hingegen beschäftige mich nur mit dem

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