Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)

Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)

Titel: Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus-Ulrich Bielefeld , Petra Hartlieb
Vom Netzwerk:
regelmäßigen Abständen mit Eisenringen gesichert war. Vorsichtig arbeiteten sie sich hoch. Nach zehn Metern mussten sie eine Luke öffnen, sich hindurchzwängen und sie hinter sich wieder zuklappen. Auf der kleinen Zwischenebene ruhten sie sich kurz aus. Dann ging es weiter.
    Ab einem bestimmten Zeitpunkt hörte Bernhardt nur noch seinen harten Herzschlag, das Pfeifen seiner Bronchien, das Rauschen seines Blutes. In seinem Kopf formte sich vage der Gedanke, dass er sterben könnte. Und gleichzeitig beobachtete er sich selbst, von weitem, eine kleine Maschine, die sich einen absurd hohen Turm hochkämpfte. Als er dicht gedrängt an den Brandenburger auf einer dieser kleinen Plattformen verharrte, sah er dessen Gesicht, und er erkannte sich selbst: blass, schweißüberströmt und doch vor Kälte zitternd, voller Panik, die von einem wütenden Willen unterdrückt wurde.
    Dann hörten sie Stimmen, Rufe, Schlagen von Metall auf Metall, ein Lärm, der sich schnell verstärkte. Die Höhenretter trieben sie vor sich her. Sie drängten und fluchten: »Idioten, seid ihr verrückt? Schneller, schneller!«
    Endlich fielen Bernhardt und der Brandenburger oben in den Maschinenraum hinter den Rotorblättern und blieben zitternd liegen. Die Höhenretter stapften fluchend über sie hinweg. Sie waren ausgerüstet, als wollten sie in den Krieg ziehen. Helm, Stirnleuchte, ein Rettungsgeschirr über der Jacke, Karabinerhaken, eine Liege, ein Rettungssack.
    Die Retter öffneten eine Klappe. Mit schnellen und geübten Griffen sicherten sie sich mit Stahlseilen, die sie an der Wand in großen Ösen festhakten, und stiegen dann auf das Dach des Maschinenhauses. Bernhardt stemmte sich hoch. Es kostete ihn enorm viel Kraft, um zum Ausstieg zu gelangen. Auf das Bild, das sich ihm von dort aus präsentierte, war er nicht gefasst: Vor dem dunklen Himmel, im zitternden Licht ihrer Kopfleuchten, arbeiteten sich zwei Männer auf dem glatten Dach kriechend zu einem Bündel vor, das am Rande der stählernen Reling lag. Und dann sah Bernhardt mit unglaublich geschärftem Blick, dass das ein Mensch war, den man dort angekettet hatte und der sich krümmte und leise vor sich hin wimmerte. Er schaute zu, mit welcher Sorgfalt – nur keine falsche Bewegung! – die beiden Retter ihn mit einem Bolzenschneider losschnitten, ihn unendlich vorsichtig ins Innere zogen. Es war Groß!
    Die Retter diskutierten. Über die Treppe? Das dauerte zu lange, außerdem zu gefährlich. Bernhardt hörte etwas von Blutstau. Und: »Wer weiß, ob er in diesem Zustand überlebt.« Sie entschieden sich, ihn mit einer Winde außen am Windrad hinunterzulassen. Mit sicheren Handgriffen fixierten sie das Seil und schoben schließlich den vereisten, gekrümmten Groß in einen Sack. Durch eine Luke ließen ihn die Retter in die Tiefe gleiten. Langsam, ganz langsam. In diesem Moment äußerster Konzentration knurrte Bernhardts Handy. Eine gute Nachricht. Es war gelungen, die Elektrik des Fahrstuhls wieder notdürftig in Gang zu setzen, in sechs Minuten sei er oben.
    Und während die Höhenretter oben noch ihr Werk taten, rumpelten Bernhardt und der Brandenburger sechs Minuten lang nach unten. Sie schwiegen.

21
    Anna hatte es nicht sehr eilig, ins Büro zu kommen. Sie hatte den Wecker auf halb acht gestellt, sich eine große Tasse Kaffee gekocht und kurz die Zeitung durchgeblättert. Als sie versuchte, Thomas Bernhardt am Handy anzurufen, erreichte sie nur die Mailbox. Umso besser, dachte sie, keine neuen Anweisungen aus Berlin, dann würde sie den Tag ausnahmsweise ruhig und strukturiert angehen. Und die unbekannte Tote von der Westbahn hatte sowieso Priorität. Irgendwer musste die gute Frau ja vermissen.
    Gabi Kratochwil und Helmut Motzko waren bereits im Büro, als sie ankam.
    »Guten Morgen. Gibt’s was Neues aus Berlin?«
    »Nein, nichts. Wie tun wir weiter?« Kratochwil sah sie erwartungsvoll an.
    »Wir kümmern uns um unsere unbekannte Kopflose. Herr Dr.   Schima hat sie genauer untersucht. Sie hat ein paar merkwürdige Verletzungen, die nicht vom Zug herrühren: Striemen am Rücken und eine zertrümmerte linke Hand. Erst einmal müssen wir heute herausfinden, wer die Dame ist. Irgendwelche Ideen?«
    »Vermisstenanzeigen? Zahnärzte? Medien?«
    »Alles schön und gut, das ist Routine. Andere Ideen?«
    »Die Theaterkarten.« Gabi Kratochwil hatte die unangenehme Angewohnheit, ihr Gegenüber nicht direkt anzublicken.
    »Sehr gut, Frau Kollegin. Sie fahren am besten gleich

Weitere Kostenlose Bücher