Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)
äugte, ein anderer führte einen Schäferhund, ein fahrbarer Spiegel wurde unter das Auto geschoben, könnte sich ja ein Mensch festgekrallt haben, ein Plastikseil wurde in den Tank gesteckt, und dann wurde lange in den Tiefen gestochert, könnte ja sein, dass der Tank ausgebaut worden war, damit es mehr Platz für einen Menschen im Kofferraum gab. Nie würde Bernhardt das Gefühl der Befreiung vergessen, das sich immer einstellte, wenn er diesen Mauerwahnsinn hinter sich gelassen hatte.
Inzwischen befand er sich auf dem Invalidenfriedhof, von dem nicht mehr viel übrig war. Ein paar Grabmäler für preußische Militärs und Gutsbesitzer. Aber auch alte Nazis lagen hier begraben. Hier war der Todesstreifen verlaufen, hier waren Menschen auf der Flucht erschossen worden, einige sogar, als sie schon im Kanal um ihr Leben schwammen. Er blieb stehen, er hörte das Vibrieren der Stadt, aber rund um ihn dehnte sich die Stille.
27
Dank dem Chirurgen schaffte Anna es halbwegs pünktlich zum Burgtheater. Der Portier hinter dem großen Tresen blickte sie fragend an, als sie sich den Schnee von der Mütze schüttelte. »Sie schon wieder?«
»Ja, ich schon wieder. Ich habe einen Termin mit Herrn…«, Anna fummelte einen zerknitterten Zettel aus der Jackentasche und versuchte, den Namen darauf zu entziffern, »…mit Herrn Johannes Kirchmeier.«
»Herr Direktor Kirchmeier. Kaufmännischer.« Der Portier zog eine Augenbraue hoch, griff zum Telefonhörer und meldete sie an. »Sie werden in fünf Minuten hier abgeholt.«
Anna setzte sich auf ein kleines Bänkchen und betrachtete die Anschläge auf der Pinnwand. Probenplanänderungen, die Wochenkarte der Kantine, ein Zeitungsausschnitt über Joachim Meyerhoff, die Spielpläne der anderen Theater. Wie lange war es her, dass sie ein Stück im Burgtheater gesehen hatte? Ein Jahr, zwei Jahre? Ihre Freundin Andrea hatte sie zuletzt zu einer Vorstellung des Sommernachtstraums mitgenommen, und noch immer hatte sie das eindrucksvolle Bühnenbild vor ihrem inneren Auge.
»Frau Chefinspektor?«
»Ja, guten Tag.« Vor ihr stand eine junge Frau, die nach Annas Schätzung nicht viel älter als Florian sein konnte.
»Ich bin Isabella Fanta, die persönliche Assistentin von Herrn Direktor Kirchmeier. Er wird sich leider ein wenig verspäten, er hat noch eine Besprechung im KBB . Wollen Sie inzwischen einen Kaffee trinken?«
»Ja, gerne. Können wir in die Kantine gehen? Ich würde wahnsinnig gerne eine Kleinigkeit essen, ich bin am Verhungern.«
»Klar, kein Problem.«
Die Tische waren gut besetzt, an einem saßen Arbeiter in Blaumännern, ein anderer wurde von einer lärmenden Gruppe belegt – fünf junge Damen, die sich um zwei nicht mehr ganz so junge Männer scharten, einen davon erkannte Anna, sein Name fiel ihr aber im Moment nicht ein. Sie bestellte bei einer resoluten blondierten Dame eine Gulaschsuppe, die sage und schreibe zwei Euro fünfundzwanzig kostete, und setzte sich zu Isabella Fanta. »Da könnte man sich ganz gut durchbringen mit diesen Theaterkantinenpreisen, aber was bedeutet bitte KBB ?«
»Das ist die Abkürzung für das künstlerische Betriebsbüro, da läuft alles zusammen. Bei uns sind alle ein wenig aufgeregt wegen der Premiere von Was ihr wollt, sehr aufwendige Inszenierung, deswegen ist heute auch spielfrei.«
»Kannten Sie Sophie Lechner eigentlich auch?«
»Ah, sind Sie wegen der Lechner hier? Nein, nein, die war vor meiner Zeit. Ich hab den Job erst seit einem halben Jahr, vorher war ich in Graz am Schauspielhaus.«
»Und was redet man so über die Lechner?«
»Ach, nicht viel. Dass es kein Wunder sei, dass sie so endete, weil sie so eine extreme Persönlichkeit war. Theatralisch eben.«
»Inwiefern?«
»Ach, mit solchen Leuten haben wir es hier doch dauernd zu tun! Mittelmäßigkeit interessiert keinen, man muss schon ein schräger Typ sein, um so eine Karriere hinzulegen.«
»Irgendwelche Liebschaften hier am Theater, von denen Sie gehört haben? Dramen?«
»Man redet viel, und wer nach einer Premierenfeier mit wem nach Hause geht, ist meistens auch nicht immer klar. Angeblich gab’s da mal einen Vorfall, da hat sie im Erzherzogzimmer die Flügelfenster geöffnet, sich das Hemd vom Leib gerissen und ist auf den Sims geklettert. Sie drohte zu springen, weil sie bei einer Rolle, die sie unbedingt wollte, nur Zweitbesetzung war.«
»Sehr sympathisch, die junge Dame. Sie hat sich’s wohl anders überlegt?«
»Ja, der Ofczarek hat sie
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