Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)
nicht mehr nützlich war für ihn. Er hatte schlichtweg keinen Grund – kein Motiv, würden Sie sagen.«
»Vielleicht wusste sie ja etwas, was ihm hätte schaden können?«
»Das ist lächerlich. Sie hat nie in seiner Liga gespielt, und das war ihr auch bewusst. Trotz ihres ganzen divenhaften Getues wusste sie doch immer genau, wer sie wirklich war. Ein Mädchen vom Land, allerdings fleißig genug, seiner Mittelmäßigkeit zu entfliehen.«
»Das ist sehr hart, was Sie da sagen.«
»Das ist die Wahrheit. Wissen Sie, Frau Habel, ich bin für alle hier nur der Zahlenknecht, der, der den Rotstift ansetzt, wenn die Kosten wieder mal explodieren. Bei mir wirft sich keiner in Pose, und darum seh ich die meisten, wie sie wirklich sind.«
»Und wer, glauben Sie, hat Frau Lechner erstochen?«
»Das war sicher niemand aus dem Wiener Umfeld, wahrscheinlich ein Berliner Wahnsinniger.«
Anna klappte das Notizheft zu und spürte eine große Müdigkeit. Durch die großen alten Fenster zog es, und die Gulaschsuppe stieß ihr unangenehm auf. »Herr Direktor, ich danke Ihnen erst einmal. Fällt Ihnen denn noch jemand ein, mit dem Sophie Lechner im Haus enger befreundet war?«
»Ja, mit dem Niki hat sie sich immer gut verstanden, der ist aber heute nicht mehr da. Morgen ist Premiere, Sie wissen ja. Wollen Sie noch eine Karte?«
»Für den Shakespeare? Danke, nein, mein Bedarf an Inszenierung ist momentan gedeckt. Geben Sie diesem Niki meine Visitenkarte, nach der Premiere soll er sich mal bei mir melden.«
»Mach ich. Ich bring Sie noch zum Lift. Sie finden raus?«
»Sicher, bemühen Sie sich nicht. Ich find auch zum Lift.«
Johannes Kirchmeier drehte das Licht ab und schloss leise die Tür zum Erzherzogzimmer. Anna wurde zurückkatapultiert in die unbarmherzige Neonbeleuchtung des Bürobaus und ging den langen Gang in Richtung Aufzug, als ihr Handy klingelte. Unbekannte Rufnummer.
»Habel?«
»Sind Sie noch im Theater? Ich muss mit Ihnen reden!«
»Wer spricht hier?«
»Das tut nichts zur Sache. Ich hab da was Interessantes für Sie. Ich bin hier unten, zweites Untergeschoss.«
»Hey, wer ist da?« Aufgelegt.
Anna stieg in den Lift und drückte die Taste U2. Als sie die Tür öffnete, war natürlich niemand zu sehen, im Hintergrund hörte sie Stimmen, ein Mann rief laut nach einem gewissen Werner. Das Mobiltelefon hielt sie noch in der Hand, als es erneut klingelte. Diesmal die vertraute Berliner Nummer. »Du, ich kann gerade nicht, ich bin… da will –« Keine Antwort, ein kurzes Piepen, dann war das Gespräch weg. Akku leer. Scheiße, wie unprofessionell. Anna hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt, dass man mit diesen iPhones zwar fast alles konnte, die Akkulaufzeit aber kaum mehr als ein paar Stunden betrug.
28
In der Keithstraße ging alles seinen Gang. Krebitz, der inzwischen vom Windrad zurückgekommen war, erzählte, dass in ein Büro der Betreibergesellschaft für Windenergie eingebrochen worden war. Der Täter hatte die Schließhilfen für den Turm mitgehen lassen. Schlechte Spurenlage, er war sehr professionell vorgegangen. Man würde sehen.
Cellarius resümierte leicht angeekelt seinen Gang durch diverse Internetforen. Sein Eindruck: Die Lechner hatte sehr darauf geachtet, ihr Inkognito zu wahren. Und es war ihr wohl gelungen.
Und Katia Sulimma zog mal wieder eins ihrer Kaninchen aus dem Hut. Sie zeigte den anderen einen Brief, der ein paar Stunden zuvor per Post eingetroffen war. Ein paar krakelige Zeilen. Bernhardt überflog sie: Ich folge Sophie, ich habe sie nicht beschützt, mit dieser Schuld will ich nicht leben. Der Mörder ist… ich weiß es nicht. H.
Die drei schauten sich an. Sollte man diesem unglücklichen Hirschmann glauben oder nicht? Fröhlichs Gutachten, das wenig später per Mail eintraf, war zum Glück – wie auch Dr. Holzingers Expertise – eindeutig: Keine Hinweise auf Fremdeinwirkung beim Tod von Hirschmann. Sie atmeten auf, ein Mord weniger, immerhin.
Doch wie weit war man eigentlich in Wien gekommen? Bernhardt drückte auf die ihm bekannte österreichische Handynummer.
Anna Habels Stimme klang verzerrt und wurde von einem heftigen Rauschen und Krachen überlagert.
»Anna, wie geht’s? Ich versteh dich kaum, such dir mit deinem Handy mal einen besseren Platz.«
»Du, ich kann gerade nicht, ich bin…, da will –«
Bernhardt versuchte noch etwas zu sagen, doch die Verbindung war unterbrochen.
Bernhardt war zunächst nicht besonders beunruhigt, doch als Anna
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