Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)
so, hast es darauf hinauslaufen lassen, bewusst oder unbewusst.«
»Es tut mir leid.«
»Musst du nicht mir sagen. – Scheiße!«
Cellarius trat scharf auf die Bremse, der Audi rutschte auf einen BVG -Bus zu, der sich vor der Auffahrt zur Autobahn Richtung Flughafen Tegel quergestellt hatte, nachdem er in einen Lastwagen geknallt war. Die Fahrgäste stiegen mit ihren Koffern und Taschen schimpfend und fluchend aus dem Bus. Der Lastwagenfahrer und der Busfahrer standen sich wie zwei Kampfhähne gegenüber, Kopf an Kopf, und brüllten sich an. Da lief gar nichts mehr, die einzige Strecke zum Flughafen war dicht.
Bernhardt schaute Cellarius kurz an und hieb ihm die rechte Faust vor die Brust.
»Danke für das, was du gesagt hast, du hast recht, ich bin ein Idiot. Ich laufe jetzt los, das Flugzeug wird ja sicher ein bisschen Verspätung haben.«
»Soll ich mitkommen?«
»Nee, fahr du mal schön nach Hause, setz dich mit deiner Frau vor den Kamin, und trink eine Trockenbeerenauslese vom Bachmüller selig, falls du noch eine hast.«
»Na gut, dann renn mal los. Wir bleiben in Kontakt.«
Der Wind, gegen den Bernhardt anlief, war schneidend kalt. Er hatte den Eindruck, als fügten ihm die Schneekristalle kleine Verletzungen im Gesicht zu. Er lief mit offenem Mund und schluckte die eisige Luft. Schon bald schmerzten ihn die Bronchien. Zum Glück hatte er nur eine Tasche mitgenommen, die er sich über die Schulter werfen konnte. Die Leute, die sich vor, neben und hinter ihm durch den Schneesturm kämpften, zogen ihre holpernden Trolleys durch die kleinen Schneewehen aus Pulverschnee. Keiner sprach, nur ab und zu waren leise Flüche zu hören. Auf der leicht ansteigenden, geschwungenen Brücke nach der Autobahnausfahrt glitten immer wieder Leute aus, fielen hin, rappelten sich wieder auf, stolperten in Richtung Flughafen.
Als Bernhardt endlich im Flughafengebäude angekommen war, fühlte er sich wie nach einem Triathlon. Wie wandelnde Schneemänner tapsten die Fluggäste durch die Halle, wo sie sich in der Wärme schnell zu tropfenden, nässenden Vogelscheuchen wandelten. An den Schaltern herrschte das pure Chaos: Ob heute noch Flugzeuge starten könnten? Niemand wisse das. Auf jeden Fall werde eingecheckt, dann würde man weitersehen.
Nach einer einstündigen Wartezeit hinter den beschlagenen Scheiben des Gates ging’s dann wider Erwarten doch in den »Flieger«, ein Wort, das Bernhardt hasste, das aber von seinen Mitfliegern gern benutzt wurde. Wer musste nicht alles seinen Flieger erreichen, nach Düsseldorf, nach Hamburg, Madrid, Rom, Zürich. Bernhardt fiel das Wort »Karawanserei« ein, so ähnlich musste das früher auch gewesen sein, wenn man sich in einem überfüllten Oasenstädtchen auf eine Expedition vorbereitete und nach langer Wartezeit auf einem Kamel hinaus in die Wüste schaukelte.
Aber der Abflug verzögerte sich weiter. Das Flugzeug musste noch enteist werden. Riesige Krakenarme umkreisten die Maschine und spien Flüssigkeit auf die Tragflächen. Im Innenraum verbreitete sich ein übler chemischer Gestank, dicke Luft, zum Trost wurden kleine Sektflaschen an die verehrten Gäste verteilt. Nachdem Bernhardt das süßliche Rülpswasser getrunken hatte, spürte er ein flaues Gefühl im Magen. Die Luft in der Fluggastzelle wurde immer unerträglicher. Als er glaubte, es nicht mehr länger aushalten zu können, wurden sie gebeten, das Flugzeug wieder zu verlassen. Sie seien zu weit hinten in der Warteschlange der abflugbereiten Maschinen, und man wolle nicht, dass zu viele Abgase in die Kabine geblasen würden. Außerdem müsse wahrscheinlich noch einmal enteist werden. Man bitte die Gäste um Entschuldigung, selbstverständlich sei man bemüht, man werde sich eine kleine Entschädigung für die Unbill – welch ein Wort! – einfallen lassen et cetera, et cetera. Komischerweise gefiel Bernhardt dieses Stewardessen-Gesäusel. Er fand, es hatte geradezu etwas Schräg-Poetisches.
Als Bernhardt im Warteraum in einen prekären Zustand aus Hypnose, Schlaf und Überwachheit versunken und bereit war, einfach alles, was geschah, hinzunehmen, ging es dann doch noch los.
Nach dem Start griff sich Bernhardt das Dossier, das Katia Sulimma für ihn zusammengestellt hatte, wirklich gute Arbeit und tatsächlich zu lesen wie ein Roman, der zudem mit zahlreichen Fotos außerordentlich gut illustriert war, in dem aber immer noch konkrete Details, harte Fakten fehlten, wie Bernhardt fand. Sophie Lechner gab ihm
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