Nach dem Applaus: Ein Fall für Berlin und Wien (German Edition)
hatte auf Anrufbeantworter geschaltet, »wegen Schneechaos«, wie eine kichernde Jungmädchenstimme verkündete. Die Bewohner des Hauses am Lietzensee waren, zumindest in kriminalpolizeilicher Hinsicht, sauber. Der Computer vermeldete keine dunklen Geheimnisse.
Katia Sulimma war gegangen. Sie hatte einen neuen Freund, mit dem sie auf dem Alexanderplatz an einer Party in einem großen Iglu teilnehmen wollte. »Ich habe sogar Angorawäsche an, supersexy, wird meinem Freund bestimmt Spaß machen, mich da rauszuschälen.« Gut gelaunt hatte sie sich verabschiedet und wäre an der Tür beinahe mit Cornelia Karsunke zusammengestoßen, die in Winterjacke und Mütze niesend den Raum betrat.
»Nix Besonderes mehr am Lietzensee. Sie haben die Lechner mitgenommen zur Gerichtsmedizin. Und Fröhlich braucht noch Zeit.«
Thomas Bernhardt hatte den starken Wunsch, den verschneiten und langsam auftauenden Heinzelmann Cornelia in die Arme zu nehmen.
»Warum bist du nicht gleich nach Hause gefahren?«
»Weil ich einfach wissen wollte, wie’s hier läuft.«
»Die Lechner scheint so eine Art Phantom gewesen zu sein, wenn man sie genauer betrachten will, verflüchtigt die sich. Das Beste, was wir jetzt noch machen können: ins Literaturhaus gehen, da hat dieser Hirschmann heute Abend einen Auftritt mit vertonten Gedichten von, wart mal…, Wondratschek oder so ähnlich.«
Cellarius hob die Hand wie ein gelehriger Schüler. »Henning Hirschmann, zwei CD s. Eine davon heißt Hell-Dunkel-Einstellung. «
»Komm ich mit. Erkältung hin oder her. Ich kenn sogar ein Lied von dem: ›Anais und ihre Freunde‹ – ein richtig schönes Liebeslied.« Cornelia schniefte. »Aber eins habt ihr bestimmt schon gemacht, die süße Anna in Wien angerufen.«
Bernhardt und Cellarius schauten sich an.
»Ach nee, die Lechner kommt aus Wien, und ihr habt nicht gleich Miss Marple angerufen? Also, dann gönne ich mir das mal.«
Das Gespräch dauerte nicht lange. Cornelia lachte, als sie den Hörer auflegte. »Ja, küss die Hand, die Chefinspektorin Haferl ist heute mal früher gegangen, sagt die Frau Schellander. Hatte Angst, dass sie bei dem Schneetreiben nicht mehr nach Hause findet, die Arme. – Also los, dann lasst uns zu unserem Künstler gehen. Beziehungsweise: Fährst du uns, Cellarius, mit deinem Superschlitten?«
Langsam schlichen sie über den Kurfürstendamm. Cellarius erklärte ihnen, dass der Wagen Vierradantrieb habe und noch ein paar andere spezielle Vorrichtungen, die eine Fahrt auch unter diesen Bedingungen zu einem wahren Vergnügen machten.
Schließlich standen sie vor dem Literaturhaus. Am Eingang hing ein Zettel, auf dem in krakeliger Schrift stand: »Liederabend fällt aus wegen Schnee«. Sie stapften weiter zum Restaurant. Auch hier ein Zettel: »Geschlossen wegen Schnee«. Sie gaben auf: höhere Gewalt. Morgen würde man weitersehen. Cellarius startete seine Superkiste und verschwand hinter einer wirbelnden Schneewand.
Cornelia und Thomas gingen die paar Schritte zur U-Bahn-Station Kurfürstendamm. Im Waggon klopften sie sich gegenseitig den Schnee von den Kleidern. Wie üblich musste sich Thomas Bernhardt überwinden. »Hast du Lust, mit zu mir zu kommen? Ich habe einen guten Rotwein.« Sie lächelte, wie er es liebte, verträumt, als käme sie aus einer fernen Welt.
»Wäre schön. Aber es geht ja nicht. Ich muss zu meinen Kindern, und ich bin erkältet, ich würde dich mit meinem Schniefen und Husten und Niesen nachts nur stören.«
»Weißt du, dass man jemanden küssen kann, der erkältet ist, und dass man sich nicht ansteckt, wenn man ihn wirklich liebt?«
Sie schaute ihn an. Ihr Lächeln, die schaukelnde U-Bahn, das flackernde Licht, die paar Fahrgäste, die aussahen, als führen sie schicksalsergeben in ein schwarzes Loch.
»Dann küss mich.«
Er küsste sie auf den Mund.
»Du musst mich richtig küssen. Sonst gilt’s nicht.«
Er spürte ihre Lippen, ihre Zunge.
»Du hast Fieber.«
»Macht doch nix, wenn du mich liebst, steckst du dich ja nicht an.«
An der Station Eisenacher Straße stieg er aus. Sie boxte ihm leicht auf den Brustkorb und blickte ihn ernst an.
»Du bist… Ach, ich weiß nicht, hoffentlich hast du dich jetzt nicht angesteckt.«
Er sah ihr verwischtes Bild hinter der beschlagenen Scheibe, sie winkte ihm zu, dann war die U-Bahn schon im Tunnel verschwunden.
Er kämpfte sich durch die Merseburger Straße vorwärts, spielte mit dem Gedanken, noch ins Renger & Patzsch zu gehen, entschied
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