Nach dem Bankett.
Stellung und Vermögen verloren, und wieder andere waren zum Bodensatz der Gesellschaft herabgesunken – alles ihretwegen. Seltsamerweise hatte sie nie erlebt, daß ein Mann durch ihre Liebe groß und mächtig geworden war. Es war nicht Kazus Verschulden – sie hatte nie Böses gewollt –, aber meist ging es mit den Männern bergab, nachdem sie Kazu kennengelernt hatten.
Während sich ihre Gedanken mit dem Tod beschäftigten, blickte sie zu den Steinstufen auf. Die Vergangenheit bröckelte Stück für Stück unter ihren Füßen weg, und sie wußte nicht, wo sie Zufucht fnden konnte. Wenn sie wie bisher weiterlebte, würde niemand da sein, der ihr das letzte Geleit gab. Der Gedanke an den Tod erweckte den Wunsch in ihr, einen vertrauenswürdigen Menschen zu fnden, eine Familie zu besitzen und ein geordnetes Leben zu führen. Aber um das zu erreichen, würde sie sich doch noch einmal der Liebe unterwerfen müssen. Und wiederum überfel sie die Angst bei dem Gedanken an weitere Sünden. Bei den morgendlichen Spaziergängen im Setsugoan hatte sie geglaubt, die Welt und die Seele der Menschen so genau zu kennen wie ihren Park. War sie nicht überzeugt gewesen, daß nichts mehr sie aus ihrer Ruhe herausreißen könne? jetzt erschien ihr diese Abgeklärtheit wie der Weg zur Hölle . . . Der Priester, der sie vorhin hergeleitete, hatte ihnen erklärt, daß das Quellenfest Reue und Bitte um Vergebung darstelle. Und Kazu verstand, wenn sie an ihr eigenes Leben dachte, nur zu gut, was damit gemeint war.
Das Raunen um sie herum zeigte an, daß endlich die Fackeln herangetragen wurden. Sie hatten bereits fertig neben dem Badehaus des Tempels gestanden: zwölf armdicke, über sieben Meter lange Bambusrohre mit gewaltigen Wurzeln, an deren Spitze ein kugelförmiger Korb von über einem Meter Durchmesser befestigt war.
Hinter dem Bambuszaun standen einige Priester in glitzernden Brokatgewändern mit hohen dreieckigen Kragen, die Kazu die Aussicht versperrten. Sie versuchte, zwischen den Schultern der Priester hindurch einen Blick auf die Fackeln zu werfen; da sie aber nicht groß genug war, bat sie Noguchi mit leiser Stimme: »Bitte, heb mich ein wenig hoch.« Aber Noguchi, der einen Schal um seinen Hals geschlungen hatte, lächelte nur und schüttelte den Kopf. In diesem Augenblick begann es zu krachen und zu prasseln, und sein Gesicht war plötzlich von hellem Licht übergossen.
Kazu wandte rasch wieder den Kopf, um zu sehen, was geschehen war. Das Prasseln kam von der angezündeten Fackel, die einen gelben Schein auf die weiße Kalkwand warf und jeden Riß, jede Kritzelei deutlich hervortreten ließ. Plötzlich loderte ganz nahe vor ihnen eine mächtige Flamme hoch, und die Gestalten der Priester mit den hohen Kragen und den Fächern, die sie schützend vor ihre Gesichter hielten, verwandelten sich in dunkle Silhouetten. Aus den grünen Zypressenzweigen oben an den Bambusrohren stoben Funken, und die starken Arme des Jünglings, der die riesige Bambusfackel trug, erglühten im Widerschein des Feuers. Mit angehaltenem Atem beobachtete Kazu, wie der Fackelträger mi dem leuchtenden Feuerball die Stufen emporstieg.
Der Jüngling, der die Last der anderthalb Zentner schweren Bambusfacke nur auf einer Schulter trug, schritt die Stufen in einem Feuerregen hinauf. Hie und da blieben Funken, wie karmesinrote Lotusblüten, auf der Treppe zurück Manchmal fngen die Pfosten des überdachten Durchgangs Feuer und begannen zu glimmen. Ein weißgekleideter Begleiter, der dem Fackelträger folgte, löschte die Flammen sogleich mit einem wasserdurchtränkten Besen. Die Menschen standen dichtgedrängt unterhalb des Tempels und folgten dem Schauspie gebannt. Kazu traten beim Anblick der wilden, einsamen Schönheit des Feuers Tränen in die Augen, und ihrer Brust entrang sich ein unartikulierter Laut. Sie ergrif Noguchis Hand und preßte sie mit vor Erregung feuchten Fingern: »Is das schön! Es hat sich wirklich gelohnt, hierher zu fahren!«
Während sie sprach, hatte der Fackelträger bereits die oberste Stufe erklommen und hielt einen Augenblick inne, um sich gegen die Balustrade der linken Galerie zu lehnen. Wieder ertönte neben Kazu ein ohrenbetäubendes Prasseln, und de zweite Fackelträger erschien am Fuße der Steintreppe. Im selben Augenblick begann der Jüngling oben auf dem Podium des Tempels wie ein tollgewordene Löwe zu rasen und die Fackel herumzuwirbeln, so daß ein heftiger Funkenregen auf
Weitere Kostenlose Bücher