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Nach dem Ende

Nach dem Ende

Titel: Nach dem Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alden Bell
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tief in die Augen, doch sein Ausdruck hat sich verändert.
    Aber Tatsache ist, du und ich, wir können das uns bestimmte Schicksal nicht steuern. Wir können es nur so gut wie möglich erfüllen, nach den schwachen Gesetzen, die wir haben. Wer hat Abraham Todd zu meinem Bruder gemacht? Wer hat dich in seine Fänge fallen lassen? Ich nicht und auch du nicht, Kleine. Der Junge war mein Fleisch und Blut, auch wenn er ein Trottel war. Stimmt, er war kein guter Mensch. Aber das ändert überhaupt nichts, das weißt du ganz genau.
    Seufzend lehnt sie sich zurück. Ja, glaub schon.
    Wir spielen nur die Rollen, die für uns geschrieben worden sind.
    Ich weiß, bekennt sie.
    Ja, ich seh es. Du hast einen Sinn für solche Sachen, genau wie ich. Du verstehst, dass die Welt eine Ordnung hat – feste Regeln, die für Menschen und Götter gelten. Viele Leute glauben, dass der Planet wegen den Kriechern aus der Bahn geraten ist – sie meinen, dass alles den Bach runtergeht, Blut, Verstand, Seele. Du und ich, wir leben vom Land, nicht verschanzt hinter Mauern. Wir wissen, dass Gottes Blick noch immer auf uns ruht. Ich habe Respekt vor dir, weil du so einen klaren Blick hast, obwohl du nur ein Mädchen bist.
    Sie kratzt über eine juckende Stelle am Knie. Du bist ein echter Redner, oder?
    Willst du behaupten, dass ich dir was Falsches erzähle?
    Nein, will ich nich. Wollte nur sagen, dass das für so einen kleinen Abend große Gedanken sind. Weiß nich, was ich mit dem Palaver anfangen soll.
    Es ist sicher ein tiefer Brunnen, in den wir da runtermüssen. Du und ich, Kleine, wir sind keine Geistesriesen. Also, was machen wir jetzt?
    Sie lehnt sich wieder vor. Na, da hätte ich schon ein paar Ideen.
    Bin gespannt.
    Ich schätze, du wirst noch eine Weile an diesen Stuhl gefesselt bleiben. Und ich, ich geh raus zu meinem Wagen und fahr hier weg, bis ich ein bisschen Abstand von dir hab. Und morgen früh binden dich die netten Leute hier los, und du kannst wieder aufbrechen. Du hast doch keine bösen Absichten gegen die Leute hier, oder?
    Sie haben mir nichts getan. Außer dass sie mich an einen Stuhl gebunden haben, und dafür mach ich eher dich verantwortlich.
    Ich geh davon aus, dass du ein ehrlicher Mensch bist, Mose.
    Wie du selber weißt, Kleine, leben wir in einer Welt, die keine Unehrlichkeit gebrauchen kann. Du hast mein Wort.
    Schön.
    Trotzdem solltest du mich lieber erschießen. Er lächelt wieder und leckt sich die Lippen in seinem Zottelbart.
    Du hast mir nix getan.
    Noch nicht. Aber ich geb dir noch ein Versprechen – mein Wort als ein Mann unter dem grauen Himmel des Todes. Wenn wir uns das nächste Mal begegnen – bringe ich dich um.
    Erneut fängt sich sein Blick in ihrem Kopf und stöbert darin herum; es fühlt sich an, als würde sie jemand durch ein nächtliches Fenster von draußen beobachten. Gefesselt sitzt er da wie eine ägyptische Statue am Eingang einer alten unterirdischen Gruft.
    Sie will ihre Geheimnisse nicht preisgeben. Also steht sie auf und nimmt die Pistole vom Tisch.
    Na ja, sagt sie, bis jetzt bist du mir nur auf die Nerven gefallen. Und dafür kann ich dich wohl kaum abknallen.
    Du hast wirklich Ehre im Leib, Kleine. Du und ich, wir werden noch einigen Staub von der Erde aufwirbeln, bevor es ans Halsabschneiden geht.
    Oben setzt sie sich neben dem Mann mit den trägen grauen Augen und dem Mondgesicht aufs Bett. Ihr fällt auf, wie sehr er in seiner Statur Moses Todd ähnelt, nur dass der Kerl hier in die Luft scharrt und sich ohne einen Gedanken an Gott und die Schöpfung einfach treiben lässt. Sie reibt mit der Hand über sein rasiertes Gesicht, hin und her, und spürt die nachwachsenden Stoppeln. Er reckt den Hals und schielt fragend nach ihrer Hand, bis sie sie ihm mit gespreizten Fingern hinhält. Er bedeckt sie mit seiner eigenen Riesenpranke.
    Also gut, Dussel. Ich glaube, hier trennen sich unsere Wege.
    Er spielt sanft mit ihren Fingern.
    Sei schön brav. Sie werden überrascht sein, wenn ich morgen früh verschwunden bin und du noch hier bist, aber sie behandeln dich bestimmt gut. Du musst bloß aufpassen, dass sie dich nicht an ihren Daddy verfüttern, dann wird das schon alles.
    Sie lächelt ihn an, und er fummelt weiter an ihren Fingern herum.
    Nur ein kleiner Scherz, Dussel. Die tun dir nix. Das sind anständige Leute.
    Ihr Plan ist simpel. Sie will James Grierson bitten, Moses Todd zu bewachen, während sie sich aus dem Staub macht. Das wird ihn so ablenken, dass er nicht mitkriegt,

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