Nach dem Ende
Kann ich dich um einen Gefallen bitten?
Was machst du denn hier, James? Du solltest dich lieber hinlegen, bevor der Boden hochfliegt und dir ins Gesicht schlägt.
Egal, wiederholt er. Die Straße ist lang. Du wirst abreisen. Und die Griersons herrschen weiter über Wald und Flur.
Jetzt komm schon. Mir geht’s auch nich so besonders. Was willst du denn mit der Knarre?
Knarre?
Erstaunt betrachtet er die Waffe in seiner Hand. Dann fällt es ihm wieder ein. Ach, die ist für dich. Ich will, dass du meinen Vater tötest. Wankend steht er in der Tür, eine Hand um ein Glas Bourbon gekrallt, während ihr die andere jetzt matt den Revolver hinstreckt.
Komm mit. Sie packt ihn am Arm und führt ihn nach hinten zur Bibliothek, wo sie ihn auf das Sofa gleiten lässt. Sie nimmt ihm das Glas und den Revolver ab und deponiert beides auf dem Beistelltisch. Hau dich ein bisschen aufs Ohr.
Du machst es, oder?, fragt er. Du musst. Du bist die Einzige, die es kann. Das ist doch nur Trotz und Scham, wenn wir ihn da unten so eingepfercht halten. Er war ein guter Mensch … ein anständiger Mensch zumindest. Es ist einfach nur Scham. Das hat er nicht verdient.
Ehrlich gesagt, wird es ihm so oder so ziemlich egal sein. Aber wenn du ihn unbedingt umlegen willst, warum machst du’s dann nich selbst?
Sein Gesicht ist verzerrt, die Augen sind erloschen – sie haben die schlimmste Schande gesehen. Er versucht sich zu erheben, sinkt aber taumelnd wieder zurück.
Schließlich murmelt er: Er ist doch mein Vater.
Sie mustert ihn. Er verachtet seine Familie, und trotzdem würde er sein Leben geben, um sie zu schützen. Eine zerrissene Fahne an einem grauen Morgen, jämmerlich und glorreich, nutzlos und pervers.
Na schön. Na schön, verdammt nochmal. Sie steht auf.
Danke. Er bedeckt das Gesicht mit den Händen. Danke. Danke. Behalt deine Geheimnisse für dich, Sarah Mary Williams. Ich steh in deiner Schuld.
Sie ist schon halb aus dem Zimmer, als er hinter ihr her ruft.
Warte. Er deutet auf den Revolver auf dem Beistelltisch. Du hast was vergessen.
Brauch ich nich, antwortet sie. Ich will doch nich das ganze Haus aufwecken.
Unten im Keller zieht sie einen Hocker vor die Käfigtür und tauscht einen langen Blick mit Randolph Grierson, der zusammengesunken in der Ecke hockt und nicht die Kraft hat, sich aufzurappeln. Seine Augen sind rotgerändert und eingesunken wie bei einem uralten Tier.
Ich weiß auch nich, Mr. Grierson. So ganz richtig kommt mir das nich vor.
Seine Finger greifen schwach nach der Luft, und kurz fühlt sie sich an einen unbeholfenen, traumvernebelten Mann erinnert, den sie mag.
Kommt mir nich richtig vor, wenn was zerstört wird, was eine Familie liebt – oder auch, was eine Familie hasst. Jeder Haushalt hat seine Geister, da sollten keine Fremden dazwischenfunken, um sie auszutreiben.
Sie steckt die Finger durch den Maschendraht, und er kriecht angestrengt in ihre Richtung.
Ja, ich weiß. Dir is das sowieso völlig egal. Du möchtest bloß was im Bauch haben. Irgendwie kannst du ja von Glück reden. Du hast einen ganzen Haushalt, der auf dich fixiert ist – eine Generation auf jeder Seite, die es nicht ertragen kann, dich anzuschauen oder dich zu vergessen. Ganz schön viel Leidenschaft, die du auslöst, Mr. Grierson. Wobei du selber schon längst keinen Sinn mehr darin suchst. Bestimmt auch eine Art von Befreiung.
Sie beugt sich vor, die Ellbogen auf die Knie gestützt.
Kein Sinn mehr und jenseits von Gut und Böse. Weißt du, es is echt ziemlich mühsam, wenn man jeden Tag versucht, es richtig zu machen. Nich weil das Richtige schwierig is, nein. Es is einfach so, na ja, das Richtige hat so eine Neigung zu verschwimmen. Gib mir einen Kompass, der Gut von Böse unterscheidet, und ich werd zur Soldatin der wahren Gerechtigkeit. Aber Gut und Böse sind beide ziemlich glitschige Dinger, und wenn’s drum geht, sie auseinanderzuhalten, könnte oft genauso gut ein Blinder raten.
Sie erhebt sich und löst den Riegel vor dem Käfig, dann macht sie die Tür auf. Nach zwei Schritten steht sie vor dem träge zusammengesunkenen Mr. Grierson und zieht das Gurkhamesser aus der Scheide.
Und manchmal hast du einfach keine Lust mehr, dich mit dieser Frage rumzuschlagen. Du handelst einfach, weil dir das Denken zu viel geworden is. Und dann sollte der Teufel lieber seinen Bleistift zücken, um das Ergebnis mitzuschreiben, weil die Zeit für Feinheiten vorbei is. Und du denkst dir, so läuft das für mich auf dieser
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