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Nach dem Ende

Nach dem Ende

Titel: Nach dem Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alden Bell
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Groß und offen erstreckt sich über ihr der Himmel, so weit, wie sie es noch nie erlebt hat – schau nur, wie er sich am Horizont krümmt und sich fast selbst wieder berührt.
    Nachdem sie einen Kübel mit den Beeren gefüllt hat, trägt sie ihn zum Schuppen in der Mitte des abgezäunten Grundstücks und stellt ihn auf die Veranda. Dann geht sie wieder hinaus aufs Feld. Das macht sie fünfmal und setzt die kleinen Kübel in einer Reihe ab.
    Ganz schöne Plackerei, sagt sie zu Albert, dem sommersprossigen Mann, der im Schatten der Veranda auf einem Korbstuhl sitzt.
    Hab dir ja gesagt, dass es nich leicht is. Er schlürft etwas aus einem Plastikbecher.
    Was trinkst du da?
    Limonade, frisch gepresst. Kann dir vielleicht ein Glas geben, wenn du fertig bist.
    Sie betrachtet den Becher in der vertrockneten Pfote des Kerls. Ja, okay. Ich mach bloß eine kurze Verschnaufpause. Sag mal, wozu brauchst du denn die ganzen Beeren?
    Die tausch ich ein. Hast du eine Ahnung, was einem die Leute alles geben für frisch gepflückte Beeren.
    Kann ich mir vorstellen. Hör mal, das wollte ich schon die ganze Zeit fragen: Wo sind wir hier eigentlich?
    Hey, Kleine, sind dir denn bei deinen Reisen nich zufällig ein paar Tote aufgefallen, die durch die Gegend laufen? Wo wir sind? Im Reich der Leichen. Sein abgehacktes Lachen geht in Husten über.
    Sie holt tief Luft und wartet, bis sein Anfall vorbei ist.
    Nur ein Witz. Wir sind in Alabama. Kurz vor Union Springs.
    Alabama? Mist, ich dachte, wir sind schon weiter.
    Wo kommt ihr her?
    Vor zwei Tagen waren wir in Georgia. Man kann nur langsam fahren, die Straßen hier sind saumäßig.
    Ich schreib meinem Abgeordneten einen Brief. Dann fällt ihm etwas ein, und er blickt hinüber zu Maury, der noch immer Holz hackt. Hast du den Schwachkopf im Auge?
    Keine Sorge. Er macht nur, was ihm gesagt wird.
    Albert beugt sich vor. Hör zu, wegen dem, was ich dir vorhin erzählt hab. Weiß nicht, ob du das so richtig kapiert hast. Du gehst einfach ein bisschen mit mir da rein, dann kannst du so viele Beeren haben, wie du willst.
    Ja, hab dich schon beim ersten Mal verstanden. Aber ich lass es lieber.
    Er lehnt sich zurück, um zu zeigen, dass die Unterhaltung beendet ist. Wie du willst. Aber dann marschierst du lieber wieder raus aufs Feld, wenn du bis Mittag fertig sein willst.
    Sie hätte nicht geglaubt, dass Beerenpflücken so schwer ist, aber die Pflanzen sind dornig, und wenn sie zu heftig an den Früchten zieht, zerquetscht sie sie zu violettem Saft. Zusammengekauert wie eine Kröte zwischen den Büschen pflückt sie weiter. Bis Mittag ist sie überall saphirblau bekleckert, und als sie das Blut von den zerstochenen Fingern saugt, schmeckt es wie eine Mischung aus Eisen und Beeren.
    Zum letzten Mal steuert sie auf die Veranda zu.
    Da, sagt sie. Das sind zehn Kübel.
    Gut gemacht, antwortet er. Das is deiner.
    Was soll das heißen, das ist meiner? Erst jetzt bemerkt sie, dass die anderen neun verschwunden sind. Du hast gesagt, dass ich von fünf einen behalten kann. Ich hab zehn gepflückt. Willst du mich verkohlen? Und wo sind die Eier, die du Maury fürs Holzhacken versprochen hast?
    Der sommersprossige Albert fixiert sie mit zusammengekniffenen Augen.
    Gefällt mir nich, wie der Schwachkopf das Holz hackt. Ich wollte größere Scheite.
    Sie streicht sich das Haar aus der Stirn und leckt sich über die Lippen. Jetzt sperr mal die Ohren auf, Albert. Hör ganz genau zu, was ich dir sage: Überleg’s dir lieber, bevor du einen Fehler machst.
    Wieder lacht Albert, bis er sich mit verkrampftem Körper nach vorn beugt, weil ihn der Husten schüttelt.
    Als er wieder aufblickt, sind seine Augen rote Kreise. Was willst du denn machen, Mädel? Willst du mir deinen Schwachkopf auf den Hals hetzen?
    Ohne aufzustehen, greift er hinter sich in die Tür des Schuppens und zieht eine Schrotflinte heraus, die er dort offenbar bereitgehalten hat.
    Er legt auf sie an. Und jetzt zieh Leine. Ich bin kein schlechter Kerl, deswegen kriegst du auch einen Kübel.
    Du bist kein schlechter Kerl, deswegen bring ich dich auch nicht um.
    Was?
    Einen Moment lang ist er verwirrt, weil sie keine Angst zeigt, und genau diese Unachtsamkeit nutzt sie, um den Lauf der Schrotflinte zu packen und kurz nach vorn zu reißen, damit sein Finger vom Abzug rutscht, dann stößt sie die Waffe mit aller Kraft zurück und rammt ihm den Schaft in den Bauch. Wie ein nasses Handtuch rutscht er vom Stuhl. Sie dreht ihn auf den Rücken, setzt ihm

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