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Nach dem Ende

Nach dem Ende

Titel: Nach dem Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alden Bell
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können.
    Ein Museum, stellt sie fest, als sie drinnen sind. Genau. Komm, Maury, ein bisschen Bildung schadet nix.
    Ehrlich gesagt macht der Bau sie nervös – all diese kompliziert verschachtelten Nischen wie in einem Labyrinth. Ihr ist es lieber, wenn sie weiß, in welche Richtung sie im Notfall flüchten kann. Doch alles ist still. Anscheinend ist der Kasten seit zwanzig Jahren oder länger nicht mehr geöffnet worden. Sie schlendern von Raum zu Raum und bleiben vor den Kunstwerken stehen. Manche sind nur Flecken auf Leinwand – und das sind die, die Maury gefallen; seine Augen füllen sich mit der dichten Struktur von Farben.
    Sie findet ihn mit der flachen Hand auf einem Gemälde, als wollte er fühlen, ob es warm ist.
    Nich berühren, Maury.
    Sie zieht seinen breiten Arm weg.
    Das is Kunst, Maury. Das kann man nich einfach anfassen. Die Sachen müssen eine Million Jahre halten, damit die Menschen in der Zukunft was über uns erfahren. Damit sie merken, was wir über Schönheit gewusst haben.
    Er richtet seine flachen, fernen Augen auf sie, dann wendet er sich wieder dem Bild zu.
    Du und ich, wir sind ja keine Kenner. Das meiste hier verstehen wir vielleicht nich, weil es nich für unsereins gemalt worden is. Aber früher oder später kommt jemand, der kann die Sachen entziffern, und dann is es wie eine Botschaft von einer anderen Zivilisation. So funktioniert das, weißt du. So reden die Menschen durch die Zeit miteinander. Und das is wirklich ein Wunder, findest du nich?
    In einem anderen Zimmer entdeckt sie ein Gemälde, das einfach eine Gruppe von Bäumen zu zeigen scheint, einen Wald oder so. Doch dann fällt ihr weit hinten eine winzige Hütte auf, kaum sichtbar zwischen den Baumstämmen. Das Licht auf dem Bild kann sie nicht beschreiben. Wenn man vorn hinschaut, sieht es aus wie Nacht, aber in der Ferne bei der Hütte sieht es wie Tag aus. Lange betrachtet sie die Hütte, bis sie ganz erfüllt ist von ihrer Form und ihrem Frieden. Ein Ort, den sie gern besuchen würde, wenn sie wüsste, wie sie hinkommt.
    Schließlich reißt sie sich los. Sie weiß, wenn sie das Bild zu lange anstarrt, wird sie traurig – traurig darüber, wie die Dinge sind.
    Im Souvenirladen findet sie etwas für Maury: einen Kugelschreiber mit einem Pferdegespann darin, das sich hin- und herbewegt, wenn man ihn kippt.
    Schau mal, was ich da für einen Zauberstift für dich hab. Sie neigt ihn vor seinen Augen, damit er es sieht. Seine Augen leuchten tief, als würde er nur zu gern auf die Kutsche im Kugelschreiber steigen.
    Also komm schon. Sie reicht ihn ihm. Kannst ihn behalten. Ein Geschenk. Wer weiß, vielleicht is heute dein Geburtstag.
    Abends suchen sie sich immer Schlafplätze. Gebäude, die sie verbarrikadieren, Dächer, auf die sie klettern können. Sie schauen hinauf zu den Sternen, und sie erfindet Geschichten über die anderen Erden, die sich dort oben im Kreis um andere Sonnen drehen. Maury schlummert leicht ein, als wäre der Schlaf sein natürlicher Zustand und das Wachen nur eine mühselige Pflicht. Temple dagegen schläft schlecht. Manchmal würde sie gern Mundharmonika spielen können oder Gitarre oder Maultrommel. Sie denkt an den Leuchtturm, an die Zeitschriften, an das Einholen der Fischernetze am Morgen, an das Umwandern der Insel, deren Rund für sie alles umschloss. Und dann drängen andere Dinge in ihr Bewusstsein – eine lärmende Parade von Erinnerungen, die ihr gegen den Strich gehen mit ihrem Ablauf. Jedes Mal fühlt es sich an, als wäre sie zurück in dem Moment von damals, als müsste sie ihn wieder erleben und andere Entscheidungen treffen. Aber das kann sie nicht, weil es nur Erinnerungen sind, die für immer feststehen, in Marmor gemeißelt, und so muss sie einfach zuschauen, wie sie immer wieder die gleichen Dinge macht, und das ist wie eine Verdammnis.
    Sie hat sich angewöhnt, mit dem Kopf auf Maurys Brust zu schlafen. Sein gleichmäßiger Herzschlag ist ein Fels, wo überall sonst nur Unheil droht.
    Am Tag sind sie unterwegs.
    Wenn du nur lesen könntest, Maury. Ich meine, schau dir mal den See an.
    Die Straße wird flacher, und sie fahren am Ufer eines schimmernden Gewässers dahin. Durch die Bäume bemerkt sie das Funkeln der Sonne auf der gekräuselten Oberfläche. Nach einer Weile wird es immer breiter, und das gegenüberliegende Ufer weicht so weit zurück, bis sie kaum mehr die Häuser und Anleger dort drüben erkennt.
    Wir sind vielleicht ein Paar. Wär wirklich nich schlecht, wenn

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