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Nach dem Ende

Nach dem Ende

Titel: Nach dem Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alden Bell
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in ihrem Kopf explodieren die Lichter.
    Als sie aufwacht, ist der Abend hereingebrochen. Die Grillen und Laubfrösche veranstalten ihren Lärm, und am Himmel hängt noch der umbrafarbene Schein der gesunkenen Sonne. Sie will sich hochrappeln, doch ihr Kopf schwankt von rechts nach links, ohne dass sie ihn steuern kann, und sie sinkt zurück auf den Hintern und muss warten, bis das Pochen und die Übelkeit vergehen. Sie entdeckt die dicke Beule an ihrem Hinterkopf. Als sie die Finger wegzieht, klebt Blut daran, aber sie spürt, dass die Wunde schon verschorft. Sie wird klarkommen, sobald die Welt um sie herum zu hüpfen aufhört.
    Hinter ihr raschelt es, und als sie sich umdreht, bemerkt sie ein Mädchen mit Zöpfen. Sie steht halb verborgen hinter einem Baumstamm und sieht aus, als wäre sie sieben oder acht, bloß dass sie mindestens genauso groß ist wie Temple – wie ein Elefantenbaby in einem karierten Kleid.
    Das Mädchen späht hinter dem Baum hervor und zupft mit den dicken Fingerspitzen nervös an der Rinde.
    Temple behält sie im Blick, obwohl ihr noch immer alles vor den Augen verschwimmt. Wo kommst du denn her, kleine Miss?
    Vom Dorf.
    In der Ferne hört Temple, dass der Motor ihres Wagens noch läuft.
    Wie lang war ich bewusstlos?
    Das Mädchen antwortet nicht. Unverwandt starrt sie Temple an und zerrt an der Baumrinde.
    Na, komm her, sagt Temple. Ich tu dir nix. Musst dich nich verstecken vor mir.
    Das Mädchen bleibt stumm.
    Hast du das Monster gesehen? Den Riesen, der mich niedergeschlagen hat? Mach dir keine Sorgen, ich lass nich zu, dass er auf dich losgeht.
    Das Mädchen sieht sich um, aber nicht ängstlich. Sie murmelt etwas Unverständliches vor sich hin.
    Was? Was hast du gesagt?
    Das Mädchen spricht mit einer merkwürdig tiefen, aber zugleich zerbrechlichen Stimme. Dich murks ich ab, hab ich gesogt.
    Zum ersten Mal fällt Temple auf, dass mit den Zähnen des Mädchens etwas nicht stimmt – sie sind nicht in ordentlichen Reihen gewachsen, sondern stehen kreuz und quer, und manche lugen sogar durch ihre Lippen, wenn sie geschlossen sind.
    Dich murks ich ab, wiederholt sie.
    Warum willst du mich denn umbringen?
    Du bis kein Wammir.
    Wammir? Was soll das heißen?
    Du bis kein Vwamm vommir.
    Verwandte von mir? Du meinst, ich bin keine Verwandte von dir?
    Dich murks ich ab.
    Glaub ich nich, Kleine. Spiel lieber woanders.
    Höchste Zeit, dass Temple auf die Beine kommt.
    Sie rappelt sich auf die Füße und hält mit ausgestreckten Armen das Gleichgewicht, als würde sie auf einem Drahtseil balancieren.
    Als sie endlich gerade steht, stellt sie fest, dass das Mädchen hinter dem Baum hervorgekommen ist. Zum ersten Mal bemerkt sie, wie massig das Mädchen wirklich ist – wie ein wandelnder Holzklotz. Irgendwas stimmt mit ihrem Arm nicht, und als Temple genauer hinsieht, erkennt sie, dass die ganze Haut von der Hand und dem Unterarm abgelöst ist. Knochen, Sehnen, bräunliches Fleisch und Muskeln liegen blank. Doch anscheinend ist das Mädchen nicht verletzt – die Muskeln spannen sich vor Kraft. An manchen Stellen hat sich offenbar sogar ein chininartiger Panzer über ihrem Arm gebildet.
    Ganz zu schweigen von dem langen Küchenmesser, das sie mit der hautlosen Hand umklammert.
    Dich murks ich ab.
    Ganz ruhig, Miss Muffett.
    Im nächsten Moment stürmt das Mädchen mit erhobenem Messer auf sie los. Temple stellt sich quer und weicht der Klinge aus. Aber das Mädchen rammt sie mit seinem vollen Gewicht. Sie stürzt zu Boden und ringt verzweifelt nach Luft. Hustend und mit wummerndem Kopf geht sie in die Hocke, vor ihr ragt das Mädchen mit dem Messer auf.
    Hör auf damit, Kleine, zischt Temple. Sonst muss ich dir wehtun.
    Aber das Mädchen stößt Temple den Fuß gegen die Brust, und sie hat das Gefühl, von einem Schmiedehammer nach hinten geschleudert zu werden. Sie schleppt sich davon, weg von dem heranstapfenden Mädchen, und beobachtet, wie sich die bloßen Fingerknochen skelettartig um den Messergriff krallen.
    Plötzlich aus den Bäumen die Stimme eines Mannes: Millie, was treibst’n da, vaflixt noch ma, hab dir doch gesogt, du sollst bloß auf sie aufpassn, bis ich wieder da bin.
    Ein anderer Mann als der vorhin, aber genauso groß, die grau angelaufene Haut teilweise herunterhängend, ein Augenlid zugenäht über einer eingesunkenen Höhle.
    Er deutet auf das Messer in der Hand des Mädchens.
    Mama bringt dich um, wennse rausfindt, dass du in der Küche warst. Komm jetz, Mama sogt, wir

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