Nach dem Ende
wie Temple auf dem Ödland auf und bringen sie in sicherere, bevölkerungsreichere Gegenden. Außerdem lösen sie Schabenrotten auf, wenn sie auf sie stoßen, treiben ihnen mit einem butanbetriebenen Bolzenschussgerät Nägel in die Köpfe und verbrennen die Leichen.
Ganz früher war Wilson Ingenieur. Er war auf dem Rückweg von Washington, als das Unheil begann, an jenem ersten Tag, als die Toten aufstanden und herumliefen wie die Lebenden. Seine Frau und seine zwei Kinder hatte es schon erwischt, als er zu Hause eintraf. Auf einen Schlag hatte sich alles verändert. Er hatte nie die Chance, dieser neuen Welt, dieser inzwischen schon ein Vierteljahrhundert alten Welt, zusammen mit seiner Familie die Stirn zu bieten. Die Welt veränderte sich und er mit ihr, und inzwischen bleibt er lieber in Bewegung, weil es keinen Ort mehr und keinen Menschen mehr gibt, um sich niederzulassen. Er kann sich noch an den Wilson von damals erinnern – aber nur mit großer Mühe.
Die meisten anderen kommen vom Militär. Einige Söldner, deren Dienste nach dem Zusammenbruch der Wirtschaft nicht mehr benötigt wurden, Opportunisten, die haufenweise Geld gehortet hatten und auf einmal nicht mehr wussten, wofür sie es ausgeben sollten, da man sich jetzt ohnehin alles gratis und mit der Erlaubnis der Welt nehmen konnte. Nachdem ihre Konten mit dem Wandel Amerikas wertlos geworden waren, entschieden sie sich für die einzige Tätigkeit in diesem kopfstehenden Land, die ihren Fähigkeiten entsprach: Sie fuhren durch die Gegend wie Desperados und halfen Menschen.
Da sitzen sie an einem klapprigen Kartentisch, der mit Klammern an der Innenwand des Güterwaggons befestigt ist, damit er vom Rucken des Zugs nicht umkippt, spielen Omaha-Poker und trinken Schnaps aus Blechbechern. Andere lassen die Beine aus dem offenen Wagen baumeln, betrachten die vorüberziehende Landschaft, zerlegen ihre Waffen, um sie zu säubern, oder schnitzen kleine Figuren aus Lindenholz. Das sind sie also, die neuen fahrenden Ritter dieser verwüsteten Zone – Verirrte, die Verirrte aufsammeln und sie in Sicherheit bringen.
Sie gehören dazu, findet Temple. Wohin sie auch kommen, sie gehören dazu, das strahlen sie aus. Diese Welt ist ihre Welt, sie ergreifen Besitz von jedem Meter, den sie zurücklegen, und jeden Abend begleiten sie die Sonne zu ihrem Grab.
Point Comfort? Wilson nimmt die Mütze ab und kratzt sich am Kopf. Hab schon mal davon gehört, glaube ich. Eine Stunde südlich von Houston vielleicht. Was treibt dich denn da hin?
Maury hat Verwandte dort.
Bist du sicher?
Nein.
Der Junge kann wirklich von Glück sagen, dass er über dich gestolpert ist.
Ich setz ihn nur ab. Er kann nich bei mir bleiben.
Mhm. Nachdenklich nickend schaut er sie an, als würde ein Newsticker durch ihre Augen laufen.
Also, meint er schließlich, du machst es einfach so. Du kommst mit uns nach Longview, und dort findest du vielleicht eine Mitfahrgelegenheit nach Süden. Ich kenne da ein paar Leute.
Das wäre wirklich nett von euch, antwortet sie. Meine Füße sind schon ganz schlapp vom Marschieren.
Dein Junge, mag der Limonade?
Glaub schon. Sie zuckt die Achseln. Auf jeden Fall trinkt er sie. Brombeeren mag er nich.
Plötzlich hat sie das Gefühl, irgendwie in eine Falle getappt zu sein, ohne dass sie weiß, in welche.
Wilson blickt lächelnd durch die Scheibe auf die Gleise, die sich vor ihnen in parallelen Linien erstrecken und in der Ferne zusammenlaufen.
Wie gesagt, erklärt sie, er is nich mit mir verwandt.
Sie und Maury fahren im dritten Güterwaggon zusammen mit mehreren Flüchtlingen. Sie kauern sich hilflos zusammen und mustern sie mit Augen, die den Tod zu prophezeien scheinen. Sie sind so gut wie verloren, diese Frauen mit ihren kleinen Kindern an der Brust, diese Männer mit offenen Wunden, die sich fragen, wie weit die Ansteckung in ihrem Kreislauf schon fortgeschritten ist, diese Söhne und Töchter der Erde, deren Lebensgeister bereits durch die Risse in ihrer Haut und die Geschwüre in ihrem Gehirn entwichen sind.
Temple hasst sie instinktiv. Gleich einem achtlosen grimmigen Fährmann weiß Wilson nicht, dass er in diesem Güterwaggon nur den Tod transportiert. Und diese Toten sind noch schlimmer als die Fleischsäcke, weil sie nicht einmal deren Hunger haben.
Sie sitzt in der offenen Tür und beobachtet die vorbeirollende Welt. Neben ihr schwenkt Maury den Spritzgussjet in den Händen hin und her.
Da, schau. Sie nimmt das Spielzeug und zeigt ihm,
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