Nach Dem Sommer
sie schob gleich hinterher: »Beck, meine ich. Er ist schließlich so gut wie ein Vater für dich, oder?«
Ich rieb mit den Daumen über das Lenkrad und mein Blick wanderte von der Straße zu meinen Knöcheln, die ganz weiß waren, so fest hielt ich das Steuer umklammert. Seltsam, dass die Leute ihre Haut als selbstverständlich betrachteten, dass sie sich nie vorstellten, wie es wäre, sie zu verlieren. Sloughing my skin / escaping its grip / stripped of my wit / it hurts to be me.
Mir fiel die väterlichste Erinnerung ein, die ich an Beck hatte. »Wir hatten bei ihm diesen riesigen Grill, und ich weiß noch, wie er eines Abends keine Lust hatte zu kochen und sagte: >Sam, heute machst du uns was zu essen.< Er hat mir gezeigt, wie man in der Mitte auf die Steaks drücken muss, um festzustellen, ob sie schon gar sind, und wie man sie von allen Seiten scharf anbrät, damit sie saftig bleiben.«
»Die sind sicher großartig geworden, oder?«
»Ich hab sie komplett verbrannt«, widersprach ich sachlich. »Ich würde sie ja mit Kohle vergleichen, aber selbst Kohle wäre dagegen noch irgendwie essbar gewesen.«
Grace fing an zu lachen.
»Beck hat seins aufgegessen«, fuhr ich fort und lächelte schuldbewusst beim Gedanken an den Anblick. »Er hat gesagt, es sei das mit
Abstand beste Steak, das er je gegessen habe, weil er es nicht selbst braten musste.«
Ich hatte das Gefühl, dass das schon ewig her war.
Grace lächelte mir zu, als wären solche alten Geschichten über mich und meinen Rudelführer das Tollste, was es gab. Als wäre das inspirierend. Als hätten wir da etwas Besonderes, Beck und ich, Vater und Sohn.
Im Geiste sah ich wieder den Jungen im Tahoe liegen und um Hilfe flehen.
»Wie lange ist es her?«, fragte Grace. »Nicht das mit den Steaks, meine ich. Dass du gebissen wurdest.«
»Ich war sieben. Vor elf Jahren.«
Sie fragte weiter: »Warum warst du damals im Wald? Ich meine nur, weil du doch aus Duluth kommst, oder? Das stand zumindest auf deinem Führerschein.«
»Ich bin nicht im Wald angegriffen worden«, sagte ich. »Darum stand es auch damals in allen Zeitungen.«
Grace wandte den Blick nicht von mir; ich sah weg, wieder auf die spärlich beleuchtete Straße vor uns.
»Zwei Wölfe haben mich angegriffen, als ich gerade in den Schulbus steigen wollte. Einer hat mich zu Boden geworfen und der andere hat zugebissen.« Oder an mir gerissen, um genau zu sein, als ginge es ihm nur darum, dass ich blutete. Und genau darum war es ihm ja auch gegangen, oder? Rückblickend schien alles schrecklich klar. Ich war nie auf den Gedanken gekommen, das alles zu hinterfragen, diese Kindheitserinnerung an den Wolfsangriff und wie Beck dann als Retter aufgetreten war, nachdem meine Eltern versucht hatten, mich umzubringen. Beck stand mir so nahe und war so sehr über jeden Tadel erhaben, dass ich gar nicht tiefer blicken wollte. Doch als ich Grace jetzt die Geschichte erzählte, drängte sich mir die Wahrheit unweigerlich auf: Mein Angriff war überhaupt kein Zufall gewesen. Man hatte mich ausgewählt, gejagt und auf die Straße gezerrt, um mich zu infizieren, genau wie die Jugendlichen im Tahoe. Und dann war Beck gekommen und hatte die Scherben aufgesammelt.
Du bist der Beste von allen , hörte ich Becks Stimme in meinem Kopf. Er hatte geglaubt, dass ich ihn überleben und dann das Rudel anführen würde. Ich hätte wütend werden sollen. Zornig, dass mir mein Leben so entrissen worden war. Aber in mir war nichts als weißes Rauschen, ein stumpfes, dröhnendes Nichts.
»Mitten in der Stadt?«, fragte Grace.
»Es war ein Vorort. Kein Wald ringsum. Die Nachbarn haben erzählt, dass die Wölfe hinterher durch ihre Gärten geflüchtet sind.«
Sie sagte kein Wort. Die Tatsache, dass ich gezielt gejagt worden war, lag auf der Hand, sodass ich nur darauf wartete, dass Grace sie aussprach. Irgendwie wollte ich das sogar, wollte, dass sie die Ungerechtigkeit beim Namen nannte. Aber sie sagte nichts. Ich spürte nur, wie sie mich musterte und nachdachte.
»Welche Wölfe?«, wollte sie schließlich wissen.
»Ich kann mich nicht erinnern. Paul könnte dabei gewesen sein, weil einer davon schwarz war. Mehr weiß ich nicht.«
Lange Zeit schwiegen wir und dann waren wir plötzlich zu Hause. Die Einfahrt lag noch immer leer da. Grace stieß einen tiefen Seufzer aus.
»Sieht aus, als wären wir mal wieder unter uns«, sagte sie. »Bleib hier, dann schließe ich die Tür auf.«
Grace sprang aus dem Wagen und ein
Weitere Kostenlose Bücher