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Nach Dem Sommer

Nach Dem Sommer

Titel: Nach Dem Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Sonne hinter den Bäumen verschwand und die graue Dämmerung sich über die Straße senkte. Wenn es dunkel wurde, mussten sie doch sicher aufhören. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass das, was sie da taten, nicht legaler wurde, nur weil ein Polizist an der Straße Wache stand.
    Koenig starrte wieder auf sein Telefon und schüttelte den Kopf. »Ich komme nicht durch. Machen Sie sich mal keine Sorgen. Da passiert schon nichts, die sind vorsichtig - ich bin mir sicher, dass sie niemanden erschießen. Aber ich gehe sie trotzdem mal lieber warnen. Ich will nur eben mein Gewehr einschließen, einen Augenblick.«
    Als er sein Gewehr ins Auto legte, hallte wieder ein Schuss durch den Wald. Etwas in mir gab nach, ich hielt es einfach nicht mehr aus. Ich sprang über den Graben und krabbelte die Böschung hinauf in Richtung der Bäume. Koenig stand da und rief mir etwas hinterher, aber ich war schon zu tief im Wald. Ich musste sie aufhalten - meinen Wolf warnen - irgendetwas tun.
    Aber alles, was mir durch den Kopf ging, während ich rannte, zwischen den Bäumen hindurchschlüpfte und über heruntergefallene Äste sprang, war: Ich komme zu spät.

  Kapitel 11 - Sam (12°C)
    W ir rannten. Wir waren wie stille, dunkle Wassertropfen, die durch das Gestrüpp und an den Bäumen vorbeijagten, weg von den Männern, die uns hetzten.
    Sie durchstießen den Wald, den ich kannte, der mich beschützte, mit ihren feindlichen Gerüchen und ihrem Geschrei. Ich rannte mit den anderen Wölfen, mal an der Spitze, mal am Schluss, und versuchte, alle zusammenzuhalten. Die umgefallenen Baumstämme und das Unterholz fühlten sich fremd unter meinen Pfoten an; um nicht zu stolpern, flog ich förmlich - ich sprang in langen, endlosen Sätzen, beinahe ohne den Boden zu berühren.
    Es war grauenhaft, nicht zu wissen, wo ich war.
    Untereinander tauschten wir simple Bilder in unserer wortlosen, flüchtigen Sprache aus: hinter uns dunkle Gestalten, die Drohungen in grellem Orange aussandten; reglose, erkaltete Wölfe; der Geruch von Tod in unseren Nasen.
    Ein ohrenbetäubender Knall brachte mich aus dem Gleichgewicht. Neben mir ein Wimmern. Ohne den Kopf zu wenden, wusste ich, welcher Wolf das war. Zum Stehenbleiben hatte ich keine Zeit, und selbst wenn, ich hätte nichts tun können.
    Da witterte ich einen neuen Geruch: modrige Erde und stehendes Wasser. Der See. Sie trieben uns auf den See zu. Gleichzeitig mit Paul, dem Rudelführer, schuf ich ein klares Bild in meinem Kopf.
    Die sanft gekräuselte Wasseroberfläche, dürre Kiefern, die vereinzelt in der kargen Erde wuchsen, und die Weite des Sees, der sich schier unendlich in beide Richtungen ausdehnte.
    Ein Wolfsrudel, das sich am Ufer aneinanderkauerte. Kein Entkommen.
    Wir waren die Gejagten. Wie Geister flüchteten wir vor ihnen in den Wald, und wir fielen, ob wir kämpften oder nicht.
    Die anderen liefen weiter, auf den See zu.
    Ich aber blieb stehen.

  Kapitel 12 - Grace (9°C)
    D ies war nicht der Wald, durch den ich noch vor ein paar Tagen gelaufen war, der wie in leuchtenden Herbstfarben gemalt gewesen war. Dies war ein dichter Wald aus Tausenden von dunklen Baumstämmen, die die Dämmerung in tiefes Schwarz tauchte. Der sechste Sinn, von dem ich kurz zuvor noch geglaubt hatte, dass er mich leitete, war verschwunden; die vertrauten Pfade zertrampelt von den Jägern mit ihren Kappen in Orange. Ich hatte jegliche Orientierung verloren; immer wieder musste ich anhalten, um nach Rufen oder weit entfernten Schritten im trockenen Laub zu lauschen.
    Mein Hals brannte bei jedem Atemzug, als ich die erste orangefarbene Kappe sah, die mir in dem dämmrigen Licht schon von Weitem entgegenleuchtete. Ich schrie, aber die Kappe drehte sich noch nicht einmal um; die Gestalt war zu weit weg, um mich hören zu können. Dann sah ich die anderen - orangefarbene Punkte, über den ganzen Wald verteilt - und alle bewegten sich stetig und unaufhaltsam in dieselbe Richtung. Sie brüllten und lärmten und trieben so die Wölfe vor sich her.
    »Halt!«, rief ich. Ich war näher herangelaufen, sodass ich nun den Umriss des Jägers erkennen konnte, der mir am nächsten war; in den Händen trug er ein Gewehr. Ich schloss zu ihm auf, meine Beine protestierten, vor Erschöpfung taumelte ich.
    Er blieb stehen und wandte sich überrascht zu mir um. Er wartete, bis ich bei ihm angelangt war. Erst als ich direkt vor ihm stand, konnte ich sein Gesicht sehen, so dunkel war es bereits hier unter den Bäumen. Er war

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