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Nach Dem Sommer

Nach Dem Sommer

Titel: Nach Dem Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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wieder hinaus.
    Später konnte ich hören, wie Ulrik und Beck sich unterhielten; ich glaube, sie dachten nicht daran, dass es in diesem Haus nicht viele Orte gab, an denen ein Werwolf sie nicht hätte hören können. »Du warst zu streng mit Shelby«, sagte Ulrik. »Sie hat ja irgendwie recht. Was, meinst du, soll er später mit seinem ganzen Bücherwissen anfangen, Beck? Er kann einfach nicht in deine Fußstapfen treten.«
    Eine Weile hörte ich nichts, dann fuhr Ulrik fort: »Jetzt tu nicht so überrascht. Man muss kein Genie sein, um zu erraten, was du dir wünschst. Aber sag mir, wie soll Sam jemals aufs College gehen?«
    Wieder hörte ich nichts. »Sommerkurse«, sagte Beck dann. »Und Internetseminare.«
    »Okay. Gehen wir mal davon aus, Sam macht seinen Abschluss.
    Was soll er dann damit? Ein Jurastudium im Internet anfangen? Und was wäre er dann für ein Anwalt? Die Leute nehmen dein exzentrisches Im-Winter-nicht-verfügbar-Gehabe hin, weil du schon etabliert warst, als du gebissen wurdest. Sam müsste versuchen, einen Job zu bekommen, bei dem nicht auffällt, dass er jedes Jahr unangemeldet verschwindet. Du stopfst ihn mit Wissen voll und hinterher muss er an einer Tankstelle arbeiten wie wir alle. Vorausgesetzt, er erreicht überhaupt noch die zwanzig.«
    »Willst du ihm vielleicht sagen, dass es alles keinen Sinn hat? Dann tu das. Ich sage es ihm ganz bestimmt nicht.«
    »Ich will nicht ihm sagen, dass es keinen Sinn hat, sondern dir.«
    »Sam macht nichts, was er nicht selbst will. Er will doch lernen. Er ist so intelligent.«
    »Beck. Du machst ihn nur unglücklich. Du kannst ihm nicht erst das Handwerkszeug für ein erfolgreiches Leben liefern und dann - rums - kann er nichts davon benutzen. Shelby hat recht. Am Ende sind wir alle Wölfe. Da kann ich ihm noch so viel deutsche Lyrik vorlesen, Paul ihm das Partizip Perfekt einbläuen und du kannst ihm Mozart vorspielen, so viel du willst, am Ende gibt es für uns alle doch nur eine lange, kalte Nacht und den Wald.«
    Als Beck nach einer weiteren langen Pause antwortete, klang er müde und kaum noch wie er selbst.
    »Lass mich einfach in Ruhe, Ulrik, ja? Lass mich einfach in Ruhe.«
    Am Tag darauf erklärte Beck mir, dass ich meine Hausaufgaben nicht machen musste, wenn ich nicht wollte, und fuhr dann allein weg. Ich wartete, bis er aus der Tür war, und machte meine Hausaufgaben trotzdem.
    Jetzt wünschte ich mir mehr als alles andere, dass Beck hier bei mir wäre. Ich drehte den Schlüssel im Schloss um. Ich wusste, was ich darin finden würde - ein vollgestopftes Fach mit den Briefen mehrerer Monate und vermutlich eine Benachrichtigung, dass ich mir am Schalter noch mehr abholen sollte.
    Doch als ich das Fach öffnete, lagen darin nur zwei einsame Briefe und ein paar Werbeprospekte.
    Jemand war hier gewesen. Und das konnte noch nicht lange her sein.

  Kapitel 30 - Sam (6°C)
    M acht's dir was aus, wenn wir noch bei Olivia vorbeifahren?«, fragte Grace, als sie ins Auto kletterte und einen Schwall kalter Luft mitbrachte. Erschreckt rutschte ich tiefer in den Beifahrersitz und sie schlug die Tür schnell hinter sich zu. »Tut mir leid«, sagte sie. »Ist ganz schön kalt geworden, was? Na ja, ich will auch gar nicht reingehen, weißt du. Nur vorbeifahren. Rachel hat gesagt, dass sich ein Wolf vor Olivias Haus herumgetrieben hat. Vielleicht finden wir da ja eine Spur?«
    »Na, dann los«, entgegnete ich. Ich nahm ihre Hand, küsste die Fingerspitzen und legte sie dann wieder aufs Lenkrad. Dann machte ich es mir auf dem Beifahrersitz bequem und zog den Rilke-Band aus der Tasche, den ich mitgebracht hatte, um mir die Wartezeit zu verkürzen.
    Bei meiner Berührung hoben sich Grace' Mundwinkel leicht, aber sie sagte nichts und manövrierte uns aus der Parklücke. Ich betrachtete ihr Gesicht, ein Bild der Konzentration mit einem strengen, wie gemeißelten Zug um den Mund, und wartete ab, wann sie wohl so weit sein würde, über das zu reden, was ihr durch den Kopf ging. Als sie weiterhin schwieg, nahm ich meinen Rilke wieder auf und lehnte mich zurück.
    »Was liest du da?«, fragte Grace nach einer Weile in die Stille hinein.
    Ich war relativ überzeugt davon, dass meine pragmatische Grace noch nie etwas von Rilke gehört hatte. »Gedichte.«
    Grace seufzte und sah hinaus in den tristen weißen Himmel, der die Straße vor uns fast zu erdrücken schien. »Gedichte kapier ich nie.« Dann wurde ihr wohl klar, dass sie mit dieser Ansicht vielleicht nicht

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