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Nach Dem Sommer

Nach Dem Sommer

Titel: Nach Dem Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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am Abend zuvor über die Milch im Kühlschrank und den Strom gesagt hatte. Vielleicht, nur ganz vielleicht würde Beck ja doch da sein und mich
    von der Verantwortung für Jack entbinden. Und mich von der belastenden Gewissheit befreien, als Letzter von uns noch übrig zu sein. Selbst wenn niemand im Haus war, konnte ich mir immer noch zusätzliche Kleidung und meinen anderen Rilke-Band besorgen, ich konnte durch die Zimmer streifen und mich in den vert rauten Gerüchen voller Erinnerungen verlieren.
    Ich dachte an die Zeit vor drei Jahren, die mir allzu kurz erschienen, als noch mehr von uns in dem Alter waren, in dem wir beim ersten Kuss der warmen Frühlingssonne wieder Menschengestalt annahmen. Damals hatten wir volles Haus - Paul, Shelby, Ulrik, Beck, Derek und sogar der irre Salem waren gleichzeitig Menschen. Wenn man diesen Wahnsinn nicht allein durchstehen musste, hatte man beinahe das Gefühl, normal zu sein.
    Langsam fuhr ich den Weg zu Becks Haus hinunter und mein Herz machte einen Satz, als ich einen Wagen in der Auffahrt halten sah. Dann aber bemerkte ich, dass es nicht Becks Auto war, sondern ein unbekannter Chevy Tahoe, und ich spürte einen Stich der Enttäuschung. Die Bremslichter des Wagens leuchteten schwach auf im trüben Grau dieses Tages, und ich kurbelte mein Fenster hinunter, um vielleicht ein paar Geruchsfetzen aufzuschnappen. Bevor ich irgendetwas riechen konnte, hörte ich, wie die Fahrertür auf der gegenüberliegenden Seite des Geländewagens geöffnet und wieder geschlossen wurde. Dann trieb der Wind den Duft des Fahrers direkt zu mir herüber, klar und ein wenig rauchig.
    Beck. Ich parkte den Bronco am Straßenrand und sprang hinaus. Als er schließlich hinter seinem Wagen hervortrat, grinste ich schon über das ganze Gesicht. Zuerst riss er nur die Augen auf, dann fing auch er an zu grinsen und sein mit Lachfalten überzogenes Gesicht nahm diesen Ausdruck wie selbstverständlich an.
    »Sam!« In Becks Stimme schwang etwas Sonderbares mit - wahrscheinlich die Überraschung. Sein Grinsen wurde breiter. »Sam, Gott sei Dank. Komm her!«
    Er umarmte mich und klopfte mir auf den Rücken in seiner gewohnt berührungsfreudigen Art, mit der er jedoch wundersamerweise nie aufdringlich wirkte. Das musste mit seinem Beruf als Anwalt zu tun haben, er wusste einfach, wie man die Leute um den Finger wickelte. Mir entging nicht, dass er um die Mitte etwas breiter wirkte als sonst, aber nicht, weil er zugenommen hatte. Ich weiß nicht, wie viele Hemden er unter seinem Mantel übereinander trug, um sich so warm zu halten, dass er zu dieser Zeit noch ein Mensch sein konnte - an seinem Hals konnte ich jedenfalls die zerknitterten Kragen von mindestens zweien sehen. »Wo bist du gewesen?«
    »Ich -« Ich war kurz davor, ihm die ganze Geschichte im Schnelldurchlauf zu erzählen, wie ich angeschossen worden war, wie ich Grace getroffen und Jack gesehen hatte, aber ich tat es nicht. Warum, weiß ich nicht. Es lag bestimmt nicht an Beck, der mich mit seinen blauen Augen ernst ansah. Es war etwas anderes, ein seltsamer Geruch, schwach, aber irgendwie vertraut, der dafür sorgte, dass sich meine Muskeln verkrampften und mir die Zunge am Gaumen klebte. So hätte es nicht sein sollen. So hätte ich mich nicht fühlen sollen. Meine Antwort wirkte ausweichender, als ich beabsichtigt hatte. »Ich war unterwegs. Nicht hier. Du warst aber auch nicht hier, wie mir aufgefallen ist.«
    »Stimmt«, gestand Beck. Er ging um den hinteren Teil des Wagens herum. Erst jetzt fiel mir auf, wie schmutzig der Tahoe war - von einer dicken Schlammschicht überzogen. Schlamm, der nach anderswo roch, klebte in Radkasten und verkrustete die Kotflügel. »Salem und ich waren oben in Kanada.«
    Deswegen also hatte ich Salem schon so lange nicht mehr gesehen. Salem hatte schon immer Probleme gemacht: Bereits als Mensch war er nicht ganz richtig gewesen, also war er es als Wolf auch nicht. Ich war ziemlich sicher, dass es Salem gewesen war, der Grace von ihrer Schaukel gezerrt hatte. Wie Beck eine so lange Autofahrt mit ihm überstanden hatte, war mir schleierhaft. Noch weniger aber verstand ich, warum er überhaupt eine solche Fahrt mit ihm gemacht hatte.
    »Du riechst nach Krankenhaus.« Beck betrachtete mich aus zusammengekniffenen Augen. »Und du siehst echt mies aus.«
    »Danke schön«, erwiderte ich. Ich konnte es wohl nicht geheim halten. Ich hatte nicht erwartet, dass man den Krankenhausgeruch noch eine Woche später an mir

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