Nach Dem Sommer
meine Haare sähen morgens »abgefahren« aus) war der mit dem Date. An der Schule war Lehrerkonferenz, wir hatten also den ganzen Tag für uns - ein echter Luxus. Er rührte gerade in einem Topf Haferbrei, als er das sagte, und sah über die Schulter in Richtung Haustür. Meine Eltern waren zwar schon früh zu einer Art Ausflug aufgebrochen, den die Firma meines Vaters veranstaltete, aber Sam schien sich immer noch Sorgen zu machen, dass sie wieder auftauchen und ihn mit Fackeln und Mistgabeln aus der Stadt jagen könnten.
Ich stellte mich zu ihm an den Herd und guckte in den Topf. Die Aussicht auf Haferbrei stimmte mich nicht gerade erwartungsvoll. Ich hatte es schon mal damit versucht und er hatte sehr ... gesund geschmeckt. »Also, dieses Date - wo willst du mit mir hin? Machen wir was Spannendes? Gehen wir wieder in den Wald?«
Er drückte mir den Finger mitten auf die Lippen. Ohne zu lächeln. »Ein ganz normales Date. Wir gehen was essen und amüsieren uns bis zum Gehtnichtmehr.«
Ich wandte den Kopf, sodass seine Hand nun auf meinem Haar lag. »Ja, genauso klingt's auch«, sagte ich sarkastisch, denn er verzog noch immer keine Miene. »Ich hätte nicht gedacht, dass >normal< bei dir überhaupt eine Option ist.«
»Holst du mal zwei Schüsseln aus dem Schrank, bitte?«, fragte Sam. Ich stellte die Schüsseln auf die Arbeitsplatte und Sam teilte den süß duftenden Haferbrei gleichmäßig auf beide auf. »Ich will doch einfach nur eine richtige Verabredung mit dir, damit du dich daran erinn-«
Er stockte und starrte auf die Schüsseln, die Hände auf die Arbeitsplatte gestützt, die Schultern bis zu den Ohren hochgezogen. Schließlich drehte er sich um und sagte: »Ich will, dass das was Richtiges wird. Können wir es nicht einfach mit >normal< versuchen?«
Ich nickte, nahm eine der Schüsseln von ihm entgegen und probierte einen Löffel Haferbrei - er schmeckte nach braunem Zucker und Ahornsirup und irgendwie auch würzig.
»Also, ich hab kein Problem mit >normal<«, verkündete ich mit erhobenem, breiverschmiertem Löffel. »Mensch, ist das Zeug klebrig.«
»Du Banausin«, rügte mich Sam. Betrübt blickte er in seine Schüssel. »Dir schmeckt's also nicht.«
»Doch, ist eigentlich ganz lecker.«
»Das hat Beck immer für mich gemacht, nachdem ich meine Eiersucht überstanden hatte«, erzählte Sam.
»Du warst süchtig nach Eiern?«
»Ich war ein seltsames Kind.« Er zeigte auf meine Schüssel. »Du musst es nicht essen, wenn du's nicht magst. Bist du fertig? Dann können wir ja gehen.«
»Gehen? Wohin?«
»Überraschung.«
Mehr musste ich nicht wissen. In null Komma nichts hatte ich den Haferbrei verputzt und Mütze, Mantel und Rucksack in der Hand.
Zum ersten Mal an diesem Morgen lachte Sam und ich war lächerlich froh darüber. »Wie ein Welpe. Als müsste ich nur mit dem Schlüssel klimpern und schon stehst du an der Tür und wartest aufs Gassigehen.«
»Wuff.«
Im Vorbeigehen tätschelte mir Sam den Kopf und wir traten hinaus in den kalten pastellblauen Morgen. Sobald Sam den Bronco angelassen hatte, drängelte ich wieder: »Willst du mir immer noch nicht sagen, wohin wir fahren?«
»Nein. Du sollst dir einfach nur vorstellen, du hättest das hier mit mir unternommen, als wir uns kennengelernt haben, und mich nicht mit einer Schusswunde ins Krankenhaus gefahren.«
»Dafür reicht meine Fantasie nicht.«
»Meine schon. Dann stelle ich es mir eben für dich vor, bis du es einfach glauben musst.« Um zu demonstrieren, dass er es sich gerade vorstellte, lächelte er, ein so trauriges Lächeln, dass ich plötzlich einen Kloß im Hals hatte. »Ich mache dir vorschriftsmäßig den Hof, dann ist es vielleicht nicht mehr so gruselig, dass ich so besessen von dir bin.«
»Das mit der gruseligen Besessenheit bin doch ich.« Ich schaute aus dem Fenster, während wir die Auffahrt hinunterfuhren. Eine nach der anderen fielen nun Schneeflocken vom Himmel. »Ich hab dieses, ach, wie heißt das noch mal? Diese Krankheit, bei der man sich mit seinem Retter identifiziert?«
Sam schüttelte den Kopf und fuhr in die entgegengesetzte Richtung der Schule. »Du meinst das Münchhausen-Syndrom, bei dem sich die Geisel mit ihrem Entführer identifiziert.«
Ich widersprach. »Das ist es nicht. Münchhausen hat man doch, wenn man sich krank stellt, um Aufmerksamkeit zu bekommen, oder?«
»Kann sein. Ich sage einfach gern >Münchhausen<. Da fühle ich mich dann, als könnte ich wirklich Deutsch
Weitere Kostenlose Bücher