Nach Dem Sommer
wie der Laden darunter, mit einem Geländer, das uns vor dem Sturz ins Erdgeschoss bewahrte.
»Ich hab hier mal einen Sommer lang gearbeitet. Setz dich hin. Und warte.« Sam dirigierte mich zu einem abgewetzten weinroten Sofa, das einen großen Teil des Platzes auf dieser Etage einnahm. Ich nahm die Mütze ab und setzte mich hin, gehorchte ihm wie verzaubert. Während er in den Regalen nach dem suchte, wofür er offensichtlich hergekommen war, konnte ich einen ausführlichen Blick auf seinen Hintern werfen. Sam, der davon nichts mitbekam, ging in die Hocke und ließ die Finger über die Buchrücken gleiten, als seien das alte Freunde. Ich betrachtete die Krümmung seiner Schultern, die Neigung seines Kopfes, die Art und Weise, wie er sich mit gespreizter Hand, die mich an einen Krebs erinnerte, auf dem Boden abstützte, als er dort bei den Regalen kniete. Schließlich fand er das Gesuchte und kam wieder zum Sofa herüber.
»Mach die Augen zu«, bat er mich. Ohne abzuwarten, legte er mir die Hand über die Augen und schloss sie so für mich. Ich spürte, wie das Sofa nachgab, als er sich zu mir setzte, hörte, wie unerklärlich laut sich die Buchdeckel öffneten und die Seiten dazwischen übereinanderschabten, als er sie umblätterte.
Dann spürte ich seinen Atem am Ohr. Mit kaum hörbarer Stimme las er vor: »>Ich bin auf der Welt zu allein und doch nicht allein genug, um jede Stunde zu weihn. Ich bin auf der Welt zu gering und doch nicht klein genug, um vor dir zu sein wie ein Ding, dunkel und klug. Ich will meinen Willen und will meinen Willen begleiten die Wege zur Tat.«< Er machte eine lange Pause, die nur sein leicht rauer Atem füllte. Dann fuhr er fort: »>Und will in stillen, irgendwie zögernden Zeiten, wenn etwas naht, unter den Wissenden sein oder allein. Ich will dich immer spiegeln in ganzer Gestalt, und will niemals blind sein oder zu alt um dein schweres schwankendes Bild zu halten. Ich will mich entfalten. Nirgends will ich gebogen bleiben, denn dort bin ich gelogen, wo ich gebogen bin.«<
Ich wandte mein Gesicht seiner Stimme zu, die Augen noch immer fest geschlossen, und er legte seinen Mund auf meinen. Ganz leicht, nur einen kurzen Moment lang, lösten sich seine Lippen noch einmal von meinen, ich hörte das Buch rascheln, als er es vorsichtig auf den Boden legte, und dann schlang er die Arme um mich.
Er schmeckte kühl, nach Pfefferminz und Winter, doch seine Hände, die sanft in meinem Nacken lagen, versprachen lange Tage und Sommer, die Ewigkeit. Ich fühlte mich benommen, als bekäme ich keine Luft, als würde sie mir geraubt, sobald ich einatmete. Sam lehnte sich auf dem Sofa zurück, nur ein kleines Stück, und zog mich in seinen Schoß, dann beugte er sich über mich und küsste und küsste mich, so zart, als wäre mein Mund eine Blume, deren Blütenblätter er mit einer zu festen Berührung verletzen würde.
Ich weiß nicht, wie lange wir uns so auf dem Sofa aneinanderschmiegten, versunken in unseren Kuss, bevor Sam merkte, dass ich weinte. Ich spürte sein Zögern, als er das Salz auf der Zunge schmeckte, bevor er begriff, was das bedeutete.
»Grace - weinst du etwa?«
Ich antwortete nicht, denn damit würde ich den Grund für meine Tränen nur noch greifbarer machen. Mit dem Daumen wischte Sam sie fort, dann zog er sich den Ärmel über die Hand, um mit dem Stoff auch noch die letzten Spuren zu beseitigen.
»Grace, was ist denn los? Hab ich was falsch gemacht?« Sams gelbe Augen wanderten besorgt über mein Gesicht, suchten nach einer Erklärung, aber ich schüttelte den Kopf. Unten, meilenweit entfernt, bediente der Kassierer einen Kunden und tippte einen Preis ein.
»Nein«, sagte ich schließlich. Ich wischte mir eine Träne aus dem Augenwinkel, bevor sie herunterfiel. »Nein, du hast alles richtig gemacht. Es ist nur, weil -« Ich konnte es nicht aussprechen. Ich konnte einfach nicht.
Ohne mit der Wimper zu zucken, beendete Sam leise meinen Satz. »- weil das mein letztes Jahr ist.«
Ich biss mir trotzig auf die Lippe und wischte noch eine Träne weg. »Ich bin noch nicht so weit. Ich werde nie so weit sein.«
Er sagte kein Wort. Vielleicht gab es nichts zu sagen. Er schlang die Arme einfach wieder um mich, diesmal so, dass meine Wange auf seiner Brust lag und er mir über den Kopf streicheln konnte, unbeholfen, aber es war dennoch tröstlich. Ich schloss die Augen und hörte zu, wie sein Herz pochte, bis meins im gleichen Takt schlug. Schließlich legte er die Wange auf
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