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Nach Dem Sommer

Nach Dem Sommer

Titel: Nach Dem Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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gelöst.«
    Ich starrte auf das Blut in seinem Haar. Meine Stimme klang ausdruckslos. »Was ist mit Jack?«
    »Dem Typen mit der Flinte?« Beck verzog das Gesicht. »Für den können wir uns bei Salem und Shelby bedanken. Ich kann nicht nach ihm suchen gehen, dafür ist es zu kalt. Er wird selbst zu uns finden müssen. Ich hoffe nur, dass er bis dahin nicht irgendwelche Dummheiten macht. Wenn wir Glück haben, benutzt er das bisschen Verstand, das der liebe Gott ihm gegeben hat, und hält sich fern von den Menschen, bis er stabiler ist.«
    Neben ihm stieß das Mädchen einen Schrei aus, ein hohes Heulen, aber vollkommen kraftlos, und von einem Zucken zum anderen war ihre Haut so durchscheinend blau wie die eines schwarzen Wolfs. Ihre Schultern krümmten sich, der Körper wurde ruckartig
    von ihren Armen nach oben gestemmt und stand plötzlich auf Krallen, die eben noch Finger gewesen waren. Ich erinnerte mich so genau an den Schmerz, als wäre ich derjenige, der sich gerade verwandelte. Ich fühlte die ganze Qual dieses einen Augenblicks, in dem man sich selbst verlor. In dem ich das verlor, was mich zu Sam machte. Jenen Teil von mir, der sich an Grace' Namen erinnerte.
    Ich wischte mir eine Träne aus dem Augenwinkel und sah zu, wie das Mädchen sich wand. Ein Teil von mir wollte sich auf Beck stürzen und ihn schütteln für das, was er ihnen antat. Und ein anderer Teil von mir dachte bloß: Gott sei Dank, dass Grace das erspart geblieben ist.
    »Beck«, brachte ich hervor; ich blinzelte, bevor ich ihn ansah. »Dafür kommst du in die Hölle.«
    Ich wartete nicht ab, wie er darauf reagierte. Ich ging einfach. Und ich wünschte mir, ich wäre nie hergekommen.
    In dieser Nacht, wie in jeder anderen Nacht, seit ich sie getroffen hatte, zog ich Grace in meine Arme und lauschte den Geräuschen ihrer Eltern im Wohnzimmer. Sie waren wie zwei emsige, hirnlose Vögelchen, die Tag und Nacht herumflatterten und eifrig mit dem Nestbau beschäftigt waren, ohne zu merken, dass ihr Junges schon vor Jahren ausgeflogen war.
    Außerdem machten sie ganz schön viel Lärm. Sie lachten und schwatzten, schepperten in der Küche mit dem Geschirr herum, obwohl ich noch nie ein Anzeichen dafür gesehen hatte, dass einer der beiden jemals etwas kochte. Sie waren wie ein Collegepärchen, das irgendwo ein Baby in einem Weidenkorb gefunden hatte und nun nichts damit anzufangen wusste. Wie wäre Grace wohl heute, wenn sie in meiner Familie - dem Rudel - aufgewachsen wäre? Wenn sie Beck gehabt hätte?
    In meinem Kopf hörte ich immer wieder Beck, wie er das aussprach, was ich schon die ganze Zeit befürchtete. Es stimmte also, dies hier war mein letztes Jahr.
    »Das Ende«, flüsterte ich. Nicht so, dass man es hätte hören können. Ich probierte nur aus, wie sich die Worte auf meiner Zunge anfühlten.
    In der schützenden Festung meiner Arme stieß Grace ein leises Seufzen aus und schmiegte ihr Gesicht an meine Brust. Sie schlief schon. Ganz im Gegensatz zu mir, der dem Schlaf mit vergifteten Pfeilen hinterherjagen musste, konnte Grace von einer Sekunde zur anderen einschlafen. Dafür beneidete ich sie.
    Noch immer sah ich Beck und die drei Neuen vor mir, Tausende von Variationen dieser Szene, sobald ich die Augen schloss.
    Ich wollte Grace davon erzählen. Ich wollte ihr nicht davon erzählen.
    Ich schämte mich für Beck. Das unerfüllbare Bedürfnis, gleichzeitig ihm und mir selbst treu zu bleiben, zerriss mich - bis heute hatte ich noch nicht einmal gewusst, dass es dazwischen einen Unterschied geben konnte. Ich wollte nicht, dass Grace schlecht von ihm dachte - aber ich wollte es mir von der Seele reden und irgendwo dieses bleierne Gewicht loswerden, das auf meiner Brust lastete.
    »Schlaf ein«, murmelte sie kaum hörbar und vergrub ihre Finger in meinem T-Shirt, sodass ich nun erst recht nicht mehr ans Schlafen denken konnte. Ich küsste sie auf die geschlossenen Augen und seufzte. Sie brummte zustimmend und flüsterte, ohne die Augen aufzumachen: »Ssch, Sam. Was auch immer es ist, morgen ist es bestimmt auch noch da. Und wenn nicht, dann ist es auch besser so. Schlaf.«
    Und plötzlich konnte ich schlafen, weil sie es mir sagte.

  Kapitel 32 - Grace (7°C)
    D as Erste, was Sam am nächsten Morgen zu mir sagte, war: »Wird Zeit, dass ich dich mal auf ein richtiges Date ausführe.« Na ja, das Allererste, was er sagte, war: »Deine Haare sehen morgens total abgefahren aus.« Aber sein erster klarer Satz (ich weigerte mich zu glauben,

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