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Nach Dem Sommer

Nach Dem Sommer

Titel: Nach Dem Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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meinen Kopf und flüsterte: »Wir haben keine Zeit, um traurig zu sein.«
    Als wir aus der Buchhandlung kamen, schien die Sonne, und ich merkte erschreckt, wie spät es schon war. Wie aufs Stichwort fing mein Magen an zu knurren.
    »Mittagessen«, verlangte ich. »Sofort. Sonst schwinde ich noch dahin, bis nichts mehr von mir übrig ist. Und dich plagen dann furchtbare Schuldgefühle.«
    »Das bezweifle ich nicht.« Sam nahm mir die Tüte mit den neuen Büchern ab, um sie in den Bronco zu legen, aber auf halbem Weg blieb er wie erstarrt stehen, den Blick auf einen Punkt hinter mir gerichtet. »Mist, da kommt was auf uns zu.«
    Er wandte mir den Rücken zu und schloss das Auto auf, warf die Bücher auf den Beifahrersitz und versuchte dabei, sich möglichst unauffällig zu verhalten. Als ich mich umdrehte, sah ich Olivia, die einen müden, zerzausten Eindruck machte. Hinter ihr tauchte John auf, der mich breit angrinste. Seit ich Sam kannte, hatte ich John nicht mehr gesehen, und jetzt, im direkten Vergleich, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich ihn je für gut aussehend gehalten hatte. Neben Sam mit seinem schwarzen Haarwust und den goldenen Augen wirkte er grau und gewöhnlich.
    »Hallo, meine Schöne«, sagte John.
    Diese Begrüßung ließ Sam abrupt herumfahren. Er bewegte sich keinen Schritt auf mich zu, aber das musste er auch nicht - ein Blick aus seinen gelben Augen reichte aus, um John zu bremsen. Vielleicht lag es auch daran, wie er neben mir stand, die Schultern ganz steif. Kurz blitzte in meinem Kopf der Gedanke auf, Sam könnte gefährlich sein - vielleicht musste er den Wolf in sich ja immer viel stärker im Zaum halten, als er zugab.
    Auf Johns Gesicht lag ein seltsamer, schwer zu deutender Ausdruck, der mich zu der Frage führte, ob an all der spaßhaften Flirterei der letzten Monate doch mehr dran war, als ich gedacht hatte.
    »Hi«, sagte Olivia. Sie warf Sam, der die Augen nicht einen Moment von der Kamera über ihrer Schulter gewendet hatte, einen flüchtigen Blick zu. Nun sah er zu Boden und rieb sich die Augen, als wäre ihm etwas hineingeflogen.
    Sams Unbehagen war ansteckend, mein Lächeln fühlte sich gekünstelt an. »Hi, ist ja lustig, euch hier zu treffen.«
    »Wir müssen nur ein paar Sachen für Mom besorgen.« John sah Sam an und lächelte ein wenig zu freundlich. Meine Wangen glühten angesichts dieses stummen Testosteronkriegs; irgendwie war es ja ganz schmeichelhaft, wenn auch ziemlich bizarr. »Und wo wir schon mal unterwegs waren, wollte Olivia auch in die Buchhandlung. Ich geh jetzt rein, hier draußen ist es ja schweinekalt.«
    »Seit wann lassen die Analphabeten da rein?«, neckte ich ihn, ganz wie früher.
    Da verschwand die Anspannung aus Johns Gesicht, er grinste Sam an, als wollte er sagen: »Na herzlichen Glückwunsch«, und verschwand in der Buchhandlung. Unsicher lächelte Sam zurück, die Augen hatte er noch immer zusammengekniffen, als hätte er etwas hineinbekommen. Olivia blieb vor dem Laden auf dem Gehsteig stehen, die Arme eng um ihren Körper geschlungen.
    »Ich hätte nie gedacht, dass du dich so früh aus dem Haus bewegst, wenn wir keine Schule haben«, sagte sie zu mir. Dabei sah sie jedoch Sam an. »Ich dachte, an freien Tagen hältst du Winterschlaf.«
    »Heute nicht«, gab ich zurück. Nachdem wir nun schon so lange nicht mehr miteinander geredet hatten, wusste ich kaum noch, wie das ging. »Bin ausnahmsweise früh aufgestanden. Ich dachte, ich probier's mal.«
    »Ist ja irre«, entgegnete Olivia. Sie wendete den Blick immer noch nicht von Sam, in der Luft hing eine unausgesprochene Frage. Ich wollte sie einander nicht vorstellen, weil Sam sich in der Gegenwart Olivias und ihrer Kamera anscheinend so unwohl fühlte, aber ich spürte mehr als deutlich, wie sie uns beobachtete: wie sie den Abstand zwischen uns einschätzte und wie dieser sich veränderte, wenn einer von uns sich bewegte, als wären wir mit unsichtbaren Fäden verbunden. Und dann die Berührungen, wie zufällig. Ihre
    Augen verfolgten seine Hand, die meinen Ärmel streifte, und wanderten dann zu seiner anderen, die noch immer auf dem Griff der Autotür ruhte - so vertraut, als hätte er sie schon tausendmal geöffnet. Als gehörte er zum Bronco und zu mir.
    »Wer ist das?«, fragte Olivia schließlich.
    Unschlüssig sah ich Sam an, der immer noch den Blick gesenkt hielt, sodass seine Lider die Augen beschatteten.
    »Sam«, sagte er leise.
    Seine Stimme hatte einen

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