Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nach Dem Sommer

Nach Dem Sommer

Titel: Nach Dem Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
Vom Netzwerk:
auf, trübte sich und wurde dann wieder heller. Wollte man diesen Moment mit etwas vergleichen, dann müsste es ein Schmetterling sein, der auf die Sonne zugaukelte.
    Schwer wie Blei sank Shelby aus meinem Griff, ich stolperte gegen die Schränke hinter mir.
    Sie war tot. Oder kurz davor, noch zuckte sie. Aber alles, woran ich denken konnte, war, wie schmutzig ich den Küchenboden gemacht hatte. Ich starrte hinunter auf die weißen Linoleumquadrate, mein Blick wanderte über die Streifen, die meine Schuhe in dem Blut hinterlassen hatten, und blieb schließlich an dem einen roten Pfotenabdruck mitten in der Küche hängen, der aus irgendeinem Grund perfekt erhalten geblieben war.
    Ich verstand nicht, warum ich das Blut so deutlich roch, und dann blickte ich hinunter auf meine zitternden Arme und sah meine rot verschmierten Hände und Handgelenke. Mit Mühe rief ich mir in Erinnerung, dass das Shelbys Blut war. Sie war tot. Das war ihr Blut. Nicht meins. Ihres.
    Meine Eltern zählten bis drei, langsam, und das Blut quoll aus meinen Adern.
    Ich würde mich übergeben.
    Ich war Eis.
    Ich »Wir müssen ihn hier wegbringen!« Die Stimme des Mädchens durchbohrte die Stille. »Irgendwohin, wo es warm ist. Mir geht's gut. Mir geht's gut. Ich bin nur - jetzt helft mir schon, ihn hier wegzubringen!«
    Zu viele, zu laute Stimmen fuhren mir scharf in den Kopf. Rings um mich spürte ich ihre Bewegungen, ihre Körper und meine Haut wirbelten, drehten sich im Kreis, doch ein Teil tief in meinem Inneren blieb vollkommen still.
    Grace. An diesem einen Namen klammerte ich mich fest. Wenn ich ihn nur im Kopf behielt, würde mir nichts geschehen.
    Grace.
    Ich zitterte und zitterte; Schicht um Schicht löste sich meine Haut.
    Grace.
    Meine Knochen drückten, stachen, drängten sich gegen meine Muskeln.
    Grace.
    Mit den Augen hielt sie mich fest, als ich ihre Hände auf meinen Armen schon nicht mehr spürte.
    »Sam«, sagte sie. »Geh nicht.«

  Kapitel 38 - Grace (3°C)
    W er tut einem Kind so was an?« Mom verzog das Gesicht. Ich war mir nicht ganz sicher, ob sie das aufgrund dessen tat, was ich ihr gerade erzählt hatte, oder wegen des Geruchs, der im Krankenhaus herrschte - nach Antiseptika und Urin.
    Ich zuckte mit den Schultern und wand mich ungeduldig auf dem Krankenhausbett. Eigentlich gab es gar keinen Grund für mich, hier zu sein. Die Wunde an meinem Arm hatte noch nicht einmal genäht werden müssen. Ich wollte einfach nur zu Sam.
    »Dann ist er also ein ziemliches Wrack.« Mom sah zu dem Fernseher über dem Bett auf, obwohl er gar nicht eingeschaltet war. Sie wartete meine Antwort nicht ab. »Ja, natürlich. Natürlich ist er das. Mit so was lebt man nicht einfach weiter, ohne einen Knacks zu behalten. Armer Junge. Sah aus, als hätte er wirklich Schmerzen gehabt.«
    Ich hoffte, Mom würde mit diesem Geplapper über Sam aufhören, wenn er von dem Gespräch mit der Krankenschwester zurückkam. Ich versuchte, nicht an seine gekrümmten Schultern zu denken, daran, wie unnatürlich sich sein Körper als Reaktion auf die Kälte verzogen hatte. Und ich hoffte, dass Sam verstehen würde, warum ich Mom von seinen Eltern erzählt hatte - besser, sie wusste darüber Bescheid als über die Wölfe.
    »Hab ich dir doch gesagt, Mom. Es ist wirklich schlimm für ihn,
    daran erinnert zu werden. Kein Wunder, dass er ausgerastet ist, als er das ganze Blut auf seinen Armen gesehen hat. Das nennt man klassische Konditionierung oder so. Google das, wenn du willst.«
    Mom schlang die Arme um ihren Körper. »Wenn er nicht da gewesen wäre ...«
    »Ja, dann wär ich jetzt tot, blablabla. Aber er war ja da. Warum regen sich eigentlich alle anderen mehr darüber auf als ich?« Die meisten von Shelbys Bissspuren hatten sich schon in hässliche Blutergüsse verwandelt - obwohl sie nicht so schnell verheilten wie Sams Wunde, als er angeschossen worden war.
    »Weil du keinen Überlebensinstinkt besitzt, Grace. Du bist wie ein Panzer, du tuckerst so vor dich hin und denkst, keiner kann dich aufhalten - bis du einem größeren Panzer begegnest. Bist du sicher, dass du weiter mit jemandem ausgehen willst, der so einen Hintergrund hat?« Mom schien sich immer mehr für ihre Theorie zu begeistern. »Er könnte einen psychotischen Schub bekommen. Ich hab gelesen, dass solche Leute das bekommen, wenn sie 28 sind. Er kann jahrelang ganz normal wirken und dann geht es auf einmal abwärts. Ich meine - du weißt, ich hab dir bisher nie vorgeschrieben, was du mit

Weitere Kostenlose Bücher