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Nach Dem Sommer

Nach Dem Sommer

Titel: Nach Dem Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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bist?«
    »Ist das wirklich so wichtig?«
    »Natürlich«, entgegnete sie frustriert. »Gegen Zauberei lässt sich nichts ausrichten. Aber in der Wissenschaft gibt es Heilmittel. Hast du dich nie gefragt, wie das alles wohl angefangen hat?«
    Noch immer ließ ich die Augen geschlossen. »Eines schönen Tages hat ein Wolf einen Menschen gebissen und der Mensch hat sich eben angesteckt. Ob Zauberei oder Wissenschaft - das ist dabei doch ganz egal. Das einzig Magische daran ist, dass wir keine Erklärung dafür haben.«
    Grace sagte zwar nichts mehr, aber ich konnte ihre Unruhe spüren. Schweigend saß ich da und verschanzte mich hinter meinem Buch. Ich wusste, dass sie mehr Worte von mir brauchte - Worte, die ich ihr aber nicht zu geben bereit war. Wer von uns beiden benahm sich egoistischer - sie, weil sie sich etwas wünschte, was niemand versprechen konnte, oder ich, weil ich ihr nicht das versprach, was sie sich, so schmerzhaft unmöglich, wie es war, kaum zu wünschen wagte?
    Bevor einer von uns das angespannte Schweigen brechen konnte, öffnete sich die Tür und ihr Dad kam herein. Durch den Temperaturunterschied war seine Nickelbrille beschlagen. Interessiert sah er sich im Arbeitszimmer um und begutachtete, was wir darin verändert hatten. Die selten benutzte Gitarre aus dem Atelier ihrer Mutter, die an meinem Sessel lehnte. Mein Stapel zerlesener Taschenbücher auf dem Beistelltisch. Die penibel gespitzten und geordneten Bleistifte auf seinem Schreibtisch. Sein Blick blieb an der Kaffeemaschine hängen, die Grace angeschleppt hatte, um ihre Koffeingelüste zu befriedigen; er schien davon genauso fasziniert zu sein wie ich. Eine Minikaffeemaschine. Für Kleinkinder, die einen schnellen Energieschub nötig hatten. »Wir sind wieder da. Habt ihr jetzt mein Arbeitszimmer annektiert, oder wie?« »Es hat sich so vernachlässigt gefühlt«, antwortete Grace, ohne von den Hausaufgaben aufzusehen. »Es war einfach viel zu nützlich, um es leer stehen zu lassen. Und jetzt kriegst du s auch nicht mehr zurück.«
    »Scheint fast so«, bemerkte er. Dann sah er zu mir herüber. Ich saß immer noch auf seinem Sessel. »Was liest du da?«
    »Bel Canto «, antwortete ich.
    »Nie davon gehört. Worum geht's denn da?«
    Blinzelnd schaute er sich den Einband an; ich hielt ihm das Buch so hin, dass er es gut sehen konnte. »Um die Oper und ums Zwiebelschneiden. Und um Gewehre.«
    Zu meiner Überraschung erhellte sich sein Gesicht und er nickte verständnisvoll. »Hört sich an wie etwas, was Grace' Mutter lesen würde.«
    Grace drehte sich mit dem Bürostuhl um. »Dad, was hast du eigentlich mit der Leiche gemacht?«
    Er blinzelte. »Was?«
    »Nachdem du den Wolf erschossen hast, was hast du da mit der Leiche gemacht?«
    »Ach so. Ich hab das Vieh auf die Veranda gelegt.«
    »Und dann?«
    »Was, und dann?«
    Verärgert stieß Grace sich vom Schreibtisch ab. »Und was hast du dann damit gemacht? Dass du sie nicht zum Verwesen dort liegen lassen hast, weiß ich.«
    Ich spürte, wie sich mein Magen langsam vor Übelkeit zusammenzog.
    »Grace, was ist denn daran so wichtig? Bestimmt hat deine Mutter sich darum gekümmert.«
    Grace massierte sich die Schläfen. »Wie kommst du darauf, dass
    Mom das gemacht haben könnte? Sie war doch mit uns im Krankenhaus!«
    »Ich hab einfach nicht mehr darüber nachgedacht. Ich wollte noch die Forstverwaltung anrufen, aber am nächsten Morgen war der Wolf nicht mehr da, also dachte ich, jemand von euch hätte es gemacht.«
    Grace gab einen erstickten Laut von sich. »Dad! Mom kriegt es doch noch nicht mal hin, eine Pizza zu bestellen! Wie hätte sie denn die Forstverwaltung rufen sollen?«
    Ihr Vater zuckte mit den Schultern und ritt sich noch tiefer in den Schlamassel. »Es sind schon merkwürdigere Dinge passiert. Reg dich doch nicht so darüber auf. Dann war eben ein wildes Tier hier und hat sich den Wolf von der Veranda geholt. Ich glaube nicht, dass Tollwut bei toten Tieren ansteckend ist.«
    Grace verschränkte nur die Arme und warf ihm einen finsteren Blick zu, als sei sein Kommentar einfach zu blöd, um ihn mit einer Antwort zu würdigen.
    »Jetzt hör schon auf zu schmollen«, sagte er und schob die Tür, im Begriff zu gehen, mit der Schulter weiter auf. »Das steht dir nicht.«
    Ihre Stimme war eiskalt. »Um alles muss ich mich selbst kümmern.«
    Er sah sie zärtlich an und irgendwie zog das ihren Ärger ins Lächerliche. »Natürlich, ohne dich wären wir aufgeschmissen. Bleibt nicht zu

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