Nach Dem Sommer
als sie mit den Fotos ankam, dann würde ich mir vielleicht auch Sorgen machen, aber so kann ich mir gar kein Bild von der ganzen Situation machen. Ich weiß nicht, Isabel ist doch ein netter Name.«
Ich lachte. »Komplett daneben, mein Lieber.«
Er verzog dramatisch das Gesicht und der übertrieben angstverzerrte Ausdruck darin beruhigte mich ein bisschen. »Ist sie so schlimm?«
»Dachte ich zumindest immer. Aber jetzt?« Ich zuckte mit den Schultern. »Die Jury berät noch. Also, was sollen wir tun?«
»Ich glaube, wir sollten uns mit ihr treffen.«
»Wir beide? Wo denn?«
»Ja, wir beide. Das ist ja nicht allein dein Problem. Keine Ahnung. Irgendwo, wo wir unsere Ruhe haben. Wo ich sie ein bisschen kennenlernen kann, bevor wir entscheiden, was wir ihr erzählen.« Er runzelte die Stirn. »Sie wäre nicht das erste Familienmitglied, das die Wahrheit herausfindet.«
An seinem Stirnrunzeln konnte ich erkennen, dass er nicht von seinen Eltern redete - denn dann wäre sein Gesicht völlig ausdruckslos gewesen.
»Nicht?«
»Becks Frau wusste es auch.«
»Wusste?«
»Brustkrebs. Lange vor meiner Zeit. Ich hab sie nie kennengelernt. Ich hab nur zufällig davon erfahren, Paul ist da mal was rausgerutscht. Beck wollte nicht, dass ich von ihr wusste. Wahrscheinlich, weil nicht viele Leute mit uns klarkommen würden, und er wollte nicht, dass ich losziehe und denke, ich kann mir auch eine nette, kleine Ehefrau suchen oder so was.«
Es schien so ungerecht, dass ein Paar gleich von zwei solcher Tragödien heimgesucht wurde. Da wurde mir klar, dass mir fast die ungewohnte Bitterkeit in seiner Stimme entgangen war - zu spät, um darauf zu reagieren. Ich überlegte, ob ich irgendwas sagen sollte, ihn nach Beck fragen, aber der Augenblick verstrich und ging unter im Lärm, als Sam das Radio anmachte und aufs Gas trat.
Er parkte rückwärts aus, die Stirn in nachdenkliche Falten gelegt. »Zum Teufel mit den Regeln«, sagte er plötzlich. »Ich will sie kennenlernen.«
Kapitel 42 - Sam (12°C)
A ls ich Isabel kennenlernte, waren ihre ersten Worte: »Dürfte ich wohl bitte erfahren, warum zum Teufel wir jetzt Quiche machen sollen, anstatt über meinen Bruder zu reden?« Sie war gerade erst aus ihrem riesigen weißen Geländewagen gestiegen, der die ganze Einfahrt der Brisbanes blockierte. Die ersten Wörter, die mir zu ihr in den Sinn kamen, waren groß - was aber vielleicht an den Zwölf-Zentimeter-Absätzen ihrer Zickenstiefel lag - und dann Löckchen - denn davon hatte sie mehr auf dem Kopf als eine Porzellanpuppe.
»Nein«, sagte Grace, und dafür, wie sie das sagte, hätte ich sie am liebsten geküsst: Verhandeln ausgeschlossen.
Isabel gab ein abfälliges Zischen von sich, sie erinnerte mich an eine Bombe, die mit genügend Giftgas gefüllt war, um ein kleines Land auszulöschen. »Darf ich dann wenigstens fragen, wer der da ist?«
Ich sah gerade noch rechtzeitig zu ihr hinüber, um mitzubekommen, wie sie mir auf den Hintern guckte. Schnell senkte sie den Blick und ich wiederholte Grace' Antwort: »Nein.«
Grace ging voran ins Haus. Im Flur wandte sie sich noch einmal zu Isabel um und warnte sie: »Stell keine Fragen über Jack. Meine Mutter ist zu Hause.«
»Grace, bist du das?«, rief ihre Mutter von oben herunter.
»Ja! Wir machen jetzt Quiche!« Grace hängte ihren Mantel auf und bedeutete uns, dasselbe zu tun.
»Ich hab ein paar Sachen aus dem Atelier mitgebracht, räumt sie einfach weg, wenn sie euch stören!«, tönte es wieder von oben.
Isabel rümpfte die Nase und behielt ihre Jacke mit dem Pelzkragen an. Sie steckte die Hände in die Taschen und blieb untätig stehen, während Grace ein paar Kartons an die Wand schob, um uns einen Weg durch das Durcheinander zu bahnen. In der gemütlich vollgestopften Küche wirkte Isabel vollkommen fehl am Platz. Ich fragte mich, ob ihre perfekten künstlichen Locken den nicht mehr ganz weißen Linoleumboden armseliger aussehen ließen oder ob durch den alten, rissigen Boden nicht vielmehr ihr Haar noch perfekter und unnatürlicher wirkte. Bis jetzt war mir die Küche jedenfalls noch nie schäbig vorgekommen.
Isabel trat noch ein paar Schritte zurück, als Grace ihre Ärmel hochschob und sich die Hände in der Spüle wusch.
»Sam, stellst du mal das Radio an und guckst, ob was Gutes läuft?«
Zwischen ein paar Dosen mit Salz und Zucker auf der Küchentheke stand ein kleines Radio. Ich schaltete es ein.
»Oh Gott, wir machen also wirklich Quiche«,
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