Nach Dem Sommer
vom Schneidebrett in die Pfanne und Grace gab mir mit ihrer mehlbedeckten Hand einen Klaps auf den Po. Als ich nachsehen wollte, ob sie einen Abdruck hinterlassen hatte, verrenkte ich mir fast den Hals, während Grace schon die Hand in das restliche Mehl drückte, damit man es diesmal noch besser sehen würde.
»Da, mein Lied!«, verkündete Grace plötzlich lauthals. »Mach das lauter! Lauter!«
Es war Mariah Carey, grauenhaft, aber wahr, doch in diesem Moment passte es einfach perfekt. Ich drehte das Radio lauter, bis die Dosen neben den kleinen Lautsprechern zu scheppern begannen. Dann schnappte ich mir Grace' Hand und zog sie an mich, und wir fingen an, »cool« zu tanzen, fürchterlich tollpatschig und unerträglich sexy zugleich; sie schmiegte sich rückwärts an mich, die Hände erhoben, und ich schlang meine Arme um ihre Hüften, viel zu tief unten, als dass es noch anständig gewesen wäre.
Das Leben misst sich an solchen Momenten , dachte ich bei mir. Grace bog den Kopf zurück, ihr schlanker, blasser Hals lag an meiner Schulter, sie reckte sich nach meinem Mund, um mir einen Kuss zu geben, und kurz bevor meine Lippen die von Grace berührten, sah ich Isabels wehmütigen Gesichtsausdruck.
»Wie viele Minuten soll ich einstellen?«, fragte Isabel, fing meinen
Blick auf und sah weg. »Und dann könnten wir uns vielleicht auch mal ... unterhalten?«
Grace lehnte sich immer noch an mich, fest in meinem Arm, mehlbedeckt und so absolut köstlich, dass ich dermaßen gern mit ihr allein gewesen wäre, jetzt, hier, dass es wehtat. Träge, wie berauscht von meiner Gegenwart, zeigte sie nur auf das Kochbuch. Isabel sah im Rezept nach und stellte die Eieruhr.
Einen Moment lang war es still, als wir merkten, dass wir fürs Erste fertig waren. Ich holte tief Luft und stellte mich schließlich Isabel. »Okay, dann erzähle ich dir jetzt, was mit Jack los ist.«
Sowohl Isabel als auch Grace sahen mich erschrocken an.
»Sollen wir uns hinsetzen?«, schlug Grace vor und wand sich aus meinen Armen. »Da lang geht's ins Wohnzimmer. Ich koche uns Kaffee.«
Isabel und ich gingen also vor ins Wohnzimmer. Genau wie in der Küche herrschte auch hier eine Unordnung, die mir nicht aufgefallen war, als Isabel noch nicht mittendrin stand. Sie musste erst einen Stapel noch nicht zusammengelegter Wäsche zur Seite räumen, um auf dem Sofa Platz zu finden. Ich wollte mich nicht neben sie setzen, also nahm ich auf dem Schaukelstuhl schräg gegenüber Platz.
Isabel warf mir einen Seitenblick zu und fragte: »Warum geht es dir nicht wie Jack? Warum verwandelst du dich nicht?«
Ich zuckte nicht mit der Wimper, aber nur wegen Grace' Warnung, dass Isabel sich schon selbst eine Menge zusammengereimt hatte. Sonst hätte man mir meinen Schrecken sicher deutlich angesehen. »Ich bin schon länger so. Je länger man so ist, desto stabiler wird man. Am Anfang verwandelt man sich andauernd. Die Temperatur spielt dabei zwar eine Rolle, aber keine so große wie später.«
Schon feuerte sie die nächste Frage ab: »Hast du Jack das angetan?«
Ich gab mir keine Mühe, meinen Ärger zu verbergen. »Ich weiß nicht, wer das war. Von uns gibt es eine ganze Menge und nicht alle sind nett.« Jacks Luftgewehr erwähnte ich nicht.
»Warum ist er so cholerisch?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Weiß ich nicht. Vielleicht, weil er ein cholerischer Typ ist?«
Isabels Gesicht wurde ganz ... spitz.
»Pass auf, nur weil man gebissen wurde, wird man nicht gleich zum Monster. Man wird nur zu einem Wolf, und zwar jeder so, wie er eben ist. Wenn man ein Wolf ist oder sich gerade verwandelt, setzen menschliche Hemmungen aus, das heißt, wenn man von Natur aus jähzornig oder gewalttätig ist, wird es nur schlimmer.«
Unsicher balancierte Grace drei Tassen Kaffee herein. Isabel bekam eine mit einem Biber darauf und ich nahm die, auf der der Name einer Bank stand. Grace setzte sich zu Isabel aufs Sofa.
Isabel schloss für einen Moment die Augen. »Na gut, damit ich alles richtig verstehe: Mein Bruder ist in Wirklichkeit gar nicht von Wölfen getötet worden. Sie haben ihn also nur zerfleischt und dann zum Werwolf gemacht? Tut mir leid, aber ich kapier immer noch nicht ganz, was es mit dieser Untotenchose auf sich hat. Und was ist mit dem Mond und den silbernen Kugeln und dem ganzen anderen Quatsch?«
»Er hat sich selbst geheilt, aber das hat eine Weile gedauert«, erklärte ich ihr. »Er war nie tot. Ich weiß nicht, wie er aus der Leichenhalle
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