Nach dem Sturm: Roman (German Edition)
einer bist. Ich weiß es längst.«
Sie hielt wieder inne. Nahm ihre Hand weg.
Es war das erste Mal seit sehr langer Zeit, dass sie zu jemandem ohne Angst gesprochen hatte, ohne Furcht und mit großer Eindringlichkeit.
Ihr Haar wurde von einem Gummiband zusammengehalten. Sie fasste hinter ihren Kopf und zog es ab. Dann schob sie sich auf die Matratze. Cohen schnarchte, hob kurz den Kopf, ließ ihn wieder sinken und schlief unruhig weiter. Mariposa stützte sich auf den Ellbogen und wartete, dass er sich wieder beruhigte. Dann streckte sie sich aus und legte sich ganz vorsichtig neben ihn.
Irgendwo anders. Nicht auf dem Land. Nicht am Strand. Keine Weiden, kein Stacheldraht, keine wuchernden Schlingpflanzen. Eine Betonwelt, in der er an einem ganz normalen Tag eine Straße in einer Stadt entlangging, wo ganz normale Leute hin und her liefen und Geschäfte betraten oder herauskamen. Er schaute sich die Straßenschilder an, aber sie waren in einer Sprache geschrieben, die er nicht verstand, der Ort hatte keine besonderen Merkmale. Er lief weiter, schaute in die Ladenfenster, trat in Bars und sah sich um, hielt vor einer Telefonzelle an, wählte, hörte es klingeln, aber es ging keiner ran, also hängte er ein und ging weiter. Zeitungskioske, Hotdog-Imbisse, eine Frau in einem engen, silbrigen Kleid, die vor einem Bekleidungsgeschäft eine Zigarette rauchte. Ein Hund ohne Halsband, der an einer Mülltonne schnüffelte. Das entfernte Hupen eines Autos. Er ging weiter, schaute in die Schaufenster und sah sein eigenes Spiegelbild darin. Seine Hände waren kalt, und er pustete auf sie, während er weiterging, und dann hatte er sich verlaufen. Er hielt an, schaute über die Schulter, um herauszufinden, aus welcher Richtung er gekommen war, ging einen weiteren Straßenzug entlang, vielleicht auch zwei oder drei, hielt an, drehte sich um und versuchte, sich zu erinnern, wo er war oder wo er hinwollte oder wohin er zurückgehen könnte oder sonst was. Er wollte jemanden fragen, aber keiner verstand, was er sagte, alle eilten an ihm vorbei, beschimpften ihn empört oder schoben ihn zur Seite. Er ging weiter. Alles sah gleich aus, und ihm wollte einfach nicht einfallen, was oder wen er eigentlich suchte. Mit jedem Schritt wuchs seine Angst, bis er nach Hilfe rief, aber keiner der Fremden um ihn herum reagierte darauf. Dann kamen ganz plötzlich ganz viele Wolken angeflogen und verschwanden im Innern der Läden und Wohnhäuser, aber er wusste nicht, wohin, blieb stehen und schaute zu, wie die dunklen Wolken das Tageslicht aufsogen, und da spürte er einen Körper neben sich und drehte sich um, aber da war niemand. Trotzdem spürte er den Körper wieder, und er öffnete die Augen. Um ihn herum war es Nacht, und neben ihm lag dieses Ding, von dem er geträumt hatte.
Er lag auf dem Rücken. Der Raum wurde von einer Kerze erleuchtet. Sie lag neben ihm. Er drehte sich um und sah ihr schwarzes Haar und erkannte sie. Aus irgendeinem Grund, der ihm schleierhaft war, erschrak er nicht. Er blieb ruhig liegen und versuchte herauszufinden, ob sie wach war oder schlief. Er merkte, wie sich ihr Körper langsam hob und senkte, wenn sie atmete, und wusste, dass sie schlief. Er hob den Kopf und sah, dass ihr Haar über seinen Arm fiel. Er hob die langen schwarzen Haare an und legte sie auf ihren Rücken. Sie atmete tief ein und aus. Er nahm seine Hand zurück und blieb ganz ruhig. Blieb ganz ruhig und spürte die Wärme, die von ihrem Körper ausging. Es war ein fremdartiges Gefühl. Ein ganz natürliches Gefühl. Aber er verstand nicht, warum sie hergekommen war, und auch nicht, warum er nicht aufstand oder wütend wurde. Erleichtert stellte er fest, dass es hier in der Dunkelheit nicht wichtig war, ob er es verstand. Er blieb ruhig liegen, spürte ihre Wärme und ihren Atem und schloss die Augen und ließ es einfach geschehen.
Als er einige Stunden später aufwachte, war sie nicht mehr da, und ein eigenartiges Licht drang durch das Wohnwagenfenster. Er setzte sich auf und kam sich vor wie in einem Traum, in dem er nicht zwischen Wirklichkeit und Trugbild unterscheiden konnte. Er fragte sich, ob er sich nur eingebildet hatte, dass sie neben ihm lag, aber er spürte noch ihre Präsenz. Er rieb sich die Augen und den Nacken und empfand es als angenehm, zu wissen, dass da noch jemand war.
Auf dem Boden neben seiner Matratze stand der Schuhkarton. Oben drauf lagen Elisas Ehering, ihre Ohrringe und ihre Halskette. Neben dem Karton lag der
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