Nach dem Sturm: Roman (German Edition)
Der kleine Junge wechselte den Ball von einer Hand in die andere, dann warf er ihn Evan zu.
»Geh schon mal«, sagte Evan, und Brisco ging weg, ohne zurückzuschauen, und war bald schon ein ganzes Stück entfernt. »Bleib stehen«, rief Evan, und Brisco hielt abrupt an. Evan warf den halbplatten Ball durch die Luft, und er kam dicht neben Brisco auf.
»Trainier ein bisschen«, sagte Evan. Brisco nahm den Ball und rannte damit im Kreis herum. Dann ließ er ihn fallen und wollte ihn kicken, aber das funktionierte nicht. Er verlor das Gleichgewicht und fiel hin. Er lachte darüber, stand auf und versuchte es ein weiteres Mal.
Als der Kleine außer Hörweite war, fragte Cohen den Älteren, was hier eigentlich los sei.
Evan schaute sich um. Sagte, er sollte vielleicht besser nichts sagen.
»Mach schon«, sagte Cohen. »Sprich leise. Ist schon in Ordnung.«
Der Junge sah noch mal in alle Richtungen, aber dann fing er an zu reden. Erzählte, dass es alles mit Aggie und Joe und der Frau namens Ava angefangen hätte, die dort drüben stand. Die beiden wären umhergefahren und hätten Samariter gespielt, hätten hier und da Leute aufgegabelt, die zurückgeblieben waren. Manchmal hätten sie die Leute auf der Straße aufgegabelt, manchmal in ihren Häusern gefunden und ihnen erzählt, sie hätten einen sicheren Platz und was zu essen für sie. Manchmal waren es zwei oder drei Personen. Sie brachten sie her, gaben ihnen einen Wohnwagen, um darin zu schlafen, und gaben ihnen was zu essen und kümmerten sich ein paar Tage um sie. Beteten mit ihnen. Predigten ihnen. Den ganzen Scheiß. Aber sie nahmen immer nur Frauen auf oder Frauen mit einem Mann. Und wenn sie dann hier waren, forderten sie den Mann auf, mit ihnen auf die Jagd zu gehen, und dann gingen sie in den Wald und erschossen ihn. Danach kam dann ein Schloss an die Tür des Wohnwagens, und die Frau konnte nicht mehr weg. Sie hatten irgendeinen großen Plan für die Menschheit oder so was. Aggie glaubte anscheinend, er hätte irgendwas mit Jesus zu tun oder mit Gott, jedenfalls erzählte er das immer. Evan schaute Brisco zu, während er sprach, und er sah aus wie jemand, der in kurzer Zeit verdammt viel erlebt hatte. Aber wenn er redete, schwang in seiner Stimme ein angenehmer jugendlicher Ton mit. Cohen musterte ihn. Seine Wangen waren eingefallen, seine Augen hart.
»Und dich. Wo hat er dich gefunden?«, fragte er.
»Er hat mich und ihn da genauso gefunden wie alle anderen. Wir waren mit meinem Onkel zusammen, aber mein Onkel ist eines Tages verschwunden. Also sind wir den Highway 49 entlanggegangen, und Aggie und Joe haben neben uns gehalten. Wir wussten nicht, was wir sonst machen sollten, also sind wir mit ihnen gekommen. Ich wollte nicht, dass Brisco verhungert. Zu Anfang waren sie sehr nett zu uns. Dann haben sie uns eingesperrt wie alle anderen.«
»Aber er hat dich nicht mit auf die Jagd genommen?«
Evan schüttelte den Kopf. »Nein. Noch nicht.«
»Und was ist mit dem Mädchen?«
»Sie war schon hier, als wir kamen. Mehr wollte sie mir nicht erzählen.«
Cohen schaute zum Wohnwagencamp. Aggie trank jetzt Kaffee und schaute woanders hin.
»Und warum bin ich nicht tot?«, fragte Cohen.
»Wahrscheinlich aus dem gleichen Grund, warum Brisco und ich noch leben. Er ist alt und kann nicht den ganzen Frauen hier Babys machen. Joe hat das erledigt. Und deshalb will er uns nicht umbringen. Er will uns bekehren.«
»Zum Wohl der Menschheit«, sagte Cohen.
Evan zuckte mit den Schultern. »So ungefähr.«
Brisco hatte den Bogen jetzt raus, kickte den Ball noch ein paar Male und begann, sich zu langweilen. Er rannte zu Evan zurück und warf ihm den Ball zu.
»Wieso seid ihr nicht weggelaufen?«
»Das ist nicht so einfach«, sagte Evan und warf den Ball wieder seinem kleinen Bruder zu.
»Nein, ist es wohl nicht.« Cohen deutete mit dem Kopf auf die Frauen und fragte, ob das alle seien.
Evan schaute eine Weile hin und sagte dann: Ja, alle, bis auf Lorna.
Cohen schüttelte den Kopf und rekapitulierte kurz, wie das mit ihr gelaufen war. Ihre Schreie, der Schnitt mit dem Messer und der Augenblick des Unglaubens bei allen Zuschauern. Dann sagte er dem Jungen, dass er nicht die Absicht habe, zu bleiben.
»Das hab ich auch gesagt«, meinte Evan. »Aber ich weiß nicht, wo ich hingehen soll. Ich bleibe lieber hier am Leben, als irgendwo da draußen zu sterben.« Dann fasste er Brisco an der Hand. »Ich hab ja gar keine andere Wahl«, fügte er hinzu. Dann wandten
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