Nach dem Sturm: Roman (German Edition)
angesichts des verklärten Gesichtsausdrucks, den Elisa zur Schau trug, seit sie hier angekommen waren.
Er setzte sich auf das Bett, schaltete den Fernseher ein und schaute sich die Wiederholung eines Fußballspiels vom Vorabend an. Mailand gegen Barcelona. Er konnte die Mannschaften nicht unterscheiden, hörte aber den Gesängen der Fans im Stadion zu und war fast wie hypnotisiert. Er schaute eine halbe Stunde zu, und dann fing er an, sich Sorgen zu machen. Er schaltete den Fernseher aus, zog sich Socken, Schuhe und ein Hemd an und ging los, um nach ihr zu sehen.
Als er aus dem Hotel trat, wandte er sich nach rechts. Nach kurzer Zeit erreichte er einen belebten Platz. In einer Ecke standen Kiosks mit Zeitungen und Zeitschriften, Zigaretten und Ansichtskarten, Stadtplänen und T-Shirts. Die Straße wurde von jeder Menge Restaurants und Cafés gesäumt. Kellner in weißen Hemden und mit schwarzen Krawatten gingen von Tisch zu Tisch, während die Touristen langsam von einem Café zum nächsten schlenderten, um herauszufinden, wo sie sich hinsetzen wollten. In der Mitte des Platzes stand ein kleiner Brunnen mit Skulpturen von Engeln, die ihre Flügel ausbreiteten und sich zum Himmel reckten. Zu ihren Füßen warfen Kinder Münzen ins Wasser und spritzten sich gegenseitig nass. Von diesem Platz zweigten zahlreiche Straßen und Gassen ab. Cohen schaute sich um und versuchte zu erahnen, welchen Weg Elisa wohl genommen hatte. Aber dann wurde ihm klar, dass es egal war, weil es in dieser labyrinthischen Stadt egal war, in welche Straße man zuerst einbog. Damit war noch lange nicht ausgemacht, wo man am Schluss ankam.
Er ging auf die andere Seite des Platzes und kaufte am Kiosk eine Packung Lucky Strike. Er riss sie auf, zündete sich eine Zigarette an und schaute sich das Geschehen um sich herum eine Weile an, bevor er eine schmalere Gasse auswählte, um dort nach seiner Frau zu suchen.
Er ging die Straße entlang, überquerte einen Kanal und dann noch einen und gelangte schließlich in ein eher abgelegenes Viertel. Er kam an einem Gemüseladen vorbei, einem Waschsalon, einem Eisenwarengeschäft und einem Blumenladen. Eine Frau mit einem Hund an der Leine trat aus einem Eingang, in einem Durchgang lehnte ein Fahrrad an der Hauswand. Er ging weiter, bis er das Viertel verlassen hatte und in eine Gegend mit Modegeschäften kam, in der sich Schaufenster mit elegant und leicht bekleideten Schaufensterpuppen, Juweliere und Geschäfte mit venezianischen Glasvasen aneinanderreihten.
Er suchte nach einer Frau, die joggte. Es wurde immer wärmer, und der Schweiß stand ihm auf der Stirn und im Nacken. Inzwischen war er ernsthaft in Sorge. Er bemerkte Sackgassen, in denen das Wasser stand, und schattige Seitenstraßen. Ihm wurde klar, dass es hier Tausende Orte gab, wo man verloren gehen oder verschwinden konnte. Er ging weiter, rauchte und schaute sich um. Schließlich kam er zu einem Platz, den er vom Vortag kannte. Offenbar ging er im Kreis und würde bald wieder bei ihrem Hotel ankommen. Vielleicht ist sie ja längst zurück, dachte er, aber der Gedanke beruhigte ihn nur ganz kurz, und er entschied sich, nach ihr zu rufen. Er legte die Hände an den Mund und schrie: »Elisa!«
Die Leute auf dem Platz hielten inne und schauten ihn an.
Er nutzte die Ruhe, die sich ausgebreitet hatte, und rief erneut: »Elisa!«
Eine unfreundliche Stimme rief ihm aus einem Fenster etwas zu, also ging er weiter. Während er weiterlief, rief er immer wieder ihren Namen. Manchmal kam das Echo seiner Stimme aus einer der Seitengassen zurück, manchmal verschluckte ein dunkler Durchgang sie ganz. Er rief und ging immer schneller, schaute sogar in den Kanälen nach und malte sich aus, wie irgendwo ein einsamer Joggingschuh oder eine Uhr oder ihr schöner Rücken im lauwarmen Wasser der Lagune trieb.
Er kam an eine Kreuzung von fünf Straßen. In der Mitte der Kreuzung stand die Statue eines besiegten Löwen mit Flügeln und einer Frau in einem langen, wehenden Gewand, die auf dem Löwen saß und einen Speer schwang. Cohen kletterte auf den Löwen und von dessen Kopf in den Schoß der Frau. Er versuchte, auf ihre Schultern zu klettern, um eine bessere Sicht zu haben. Ein Ladenbesitzer kam aus seinem Andenkengeschäft, fuchtelte mit den Armen und klatschte in die Hände. Ein anderer Einheimischer, der gerade vorbeikam, gesellte sich zu ihm. Cohen ignorierte sie, überblickte von seinem Aussichtsplatz die Straße und rief weiter ihren Namen. Der
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